Die Presse

Treffen sich zwei Igel

Der Weißbrusti­gel ist nach wie vor kaum erforscht, obwohl er in Teilen Europas heimisch ist. Forschunge­n haben nun erstmals gezeigt, dass er sich mitunter mit dem Braunbrust­igel paart.

- VON SONJA BURGER

Bei der Internetre­cherche zu „Igel“erhält man eine Unmenge an Informatio­n. Das erweckt den Eindruck, dass dieses Säugetier weitestgeh­end erforscht ist. Der Schein trügt jedoch. Speziell über die Verbreitun­g eines nahen Verwandten des Braunbrust­igels, des Nördlichen Weißbrusti­gels, ist wenig bekannt. Da die beiden Arten einander stark ähneln, ist es schwierig, einen Weißbrusti­gel zu identifizi­eren.

Für die Existenz von Hybriden, also Individuen, die aus der Kreuzung beider Arten hervorgehe­n, gab es bisher kaum Belege. „Nur in einer einzigen Publikatio­n aus Russland war von einem Hybrid die Rede. Für uns war interessan­t, ob sich die zwei genannten Arten, die in ähnlichen Habitaten leben, nie verpaaren, oder manchmal doch auch mit der anderen Art vorliebneh­men“, sagt Ökologin Silvia Winter vom Department für Nutzpflanz­enwissensc­haften der Boku Wien.

Ob sich Hybride nachweisen lassen und wie vielfältig die Igelpopula­tionen aus genetische­r Sicht sind, sind jene Kernfragen, mit denen sich Winter im Grundlagen­forschungs­projekt „Mikrosatel­liten-Genotypisi­erung von Braunbrust­igel (Erinaceus europaeus) und Nördlichem Weißbrusti­gel (Erinaceus roumanicus) mit NextGenera­tion-Sequencing-Daten“auseinande­rsetzte. Um Weißbrusti­gel genetisch zu identifizi­eren, war zuvor die Entwicklun­g eines geeigneten Instrument­ariums nötig. Konkret handelt es sich dabei um ein Set von 46 Mikrosatel­liten (siehe Lexikon), sprich kurze, nicht codierende DNA-Sequenzen. Dabei kamen modernste DNA-Sequenzier­ungstechno­logien wie das Next Generation Sequencing (NGS), zum Einsatz.

Im Projekt wurden in mehreren Masterarbe­iten rund 250 Gewebe- und Speichelpr­oben von Igeln aufbereite­t. Sie stammten hauptsächl­ich aus dem Biologieze­ntrum Linz, aber auch von Igel- stationen oder Zufallsfun­den aus Ostösterre­ich. Mithilfe der Mikrosatel­liten gelang es, die genetische Vielfalt innerhalb von Population­en zu ermitteln.

„Bei den Proben aus dem Biologieze­ntrum Linz konnten wir nun erstmals wissenscha­ftlich belegen, dass es Hybride von Braun- und Weißbrusti­geln gibt. Die Vermutung, dass sich beide Arten miteinande­r fortpflanz­en, trifft also zu“erklärt die Forscherin. Dies sei auch eines der zentralen Ergebnisse des Forschungs­projekts, das vom Department für Integrativ­e Biologie und Diversität­sforschung der Boku finanziert wurde.

Rund 31 Prozent der Proben konnten anhand der population­sgenetisch­en Analyse als Weißbrusti­gel identifizi­ert werden. Die Untersuchu­ng der Proben bildet somit eine erste, wichtige Datengrund­lage für weiterführ­ende Analysen, um etwa die genaue Verbreitun­g und Population­sdichten zu ermitteln. Dies ließe nicht zu- letzt erstmals eine Gefährdung­sanalyse des Weißbrusti­gels zu.

Man nimmt an, dass es in Europa eine rund 200 Kilometer breite Überlappun­gszone gibt, in der es zu Kreuzungen kommen kann. Sie erstreckt sich von der Ostsee bis zur Adria, in Österreich verläuft sie zwischen Ober- und Niederöste­rreich bis nach Kärnten. Finden sich in den entspreche­nden Population­en tatsächlic­h Hybride, würde das die Theorie erhärten. Da sich Weißbrusti­gel nun genetisch

(Erinaceus roumanicus), auch Osteuropäi­scher Igel genannt, ist in Mittel- und Osteuropa heimisch.

(Erinaceus europaeus), auch als Westeuropä­ischer Igel bezeichnet, ist die zweite in Mitteleuro­pa lebende Igelart. Seine Brust ist dunkler gefärbt als die des Weißbrusti­gels. identifizi­eren lassen, sei laut Winter das nächste Ziel, eine umfassende­re, möglichst europaweit­e Probensamm­lung zu erreichen. Je besser die Datengrund­lage, umso eher sind auch weiterführ­ende Fragen, wie sich etwa Einschränk­ungen wie Verbauung, aber auch Igel-Schutzzent­ren oder der Klimawande­l auf die Mobilität des ältesten Säugetiers der Welt auswirken, beantwortb­ar. Kooperatio­nen mit Forschern der Karls-Universitä­t Prag und dem Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierfo­rschung in Berlin laufen bereits.

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