Das andere Wachauer Lied
Der Kremser „Wein des Vergessens“: die Arisierung des Weinguts Sandgrube als Roman.
Nach dem Krieg präsentierte sich die einstige Gauhauptstadt unschuldig und ein wenig verstaubt. Krems lockte mit vorbildlich restaurierten mittelalterlichen Ensembles und hatte großen Anteil am Aufschwung der Wein- und Gastronomiewirtschaft. Dass ein Bürgermeister der NSZeit in den Siebzigerjahren wieder Bürgermeister wurde, zeigte, dass die Kremser Nazis ihren Gegnern nun mit Toleranz begegneten. Die Vergangenheit und ihre Verbrechen ruhten nicht zuletzt in den Weingärten der Stadt und der Wachau. Wäre da nicht ein Kind der Stadt, Historiker und Schriftsteller, der in Dutzenden Büchern, Filmen und Aufsätzen Krems zu einer der am besten dokumentierten Städte der NS-Zeit im deutschen Sprachraum machte: Robert Streibel.
Sein jüngster Tatsachenroman, den er mit dem ebenfalls aus Krems stammenden Historiker Bernhard Herrman verfasste, ist ein fesselnder Wirtschafts- und Politkrimi; er beschreibt die Vorgänge um die Arisierung eines Vorzeigeunternehmens der Stadt, des Weinguts Riede Sandgrube, und seine Übernahme durch eine Winzergenossenschaft.
Dass es nach einem gescheiterten Anlauf um 1902 erst in den Wochen nach dem „Anschluss“zur Gründung der Genossenschaft kam, ist nicht nur der kriminellen Energie und Perfidie hoher und höchster NS-Chargen zu verdanken. Krems wies viele „alte Kämpfer“auf, die sich schon in den späten Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren mit Haut und Haar dem Nationalsozialismus verschrieben hatten, wobei lokale Behördenleiter, Wirtschaftstreibende und Weinhauer eine herausragende Rolle spielten.
Juristische Tricks – oder Gewalt
Mit Unterstützung des Langenloiser Winzerfunktionärs Birringer und mehr als 100 Weinbauern für die zu gründende Genossenschaft gelang es dem NS-Ortsbauernführer Aigner, das Weingut Sandgrube, das sich ursprünglich im Eigentum des Wiener Weinhändlers Paul Robitschek befand, zu „arisieren“. Wenn die juristischen Tricks nicht zogen, wurde Gewalt angewendet.
Robitschek, der aus seiner jüdischen Herkunft kein Geheimnis machte und Anhänger Schuschniggs war, von dem er sich die Eindämmung der braunen Flut erhoffte, lebte in Wien ein großbürgerliches Leben; er führte einen Salon, in dem das halbe Burgtheaterensemble von Raoul Aslan bis Alma Seidler aus und ein ging. Und er lebte eine homosexuelle Beziehung mit seinem Freund August Rieger, der in geschäftlichen Dingen zum Hasard neigte und immer wieder von Robitschek entschuldet werden musste, dessen Liebe und Loyalität aber unerschütterlich war.
Auch als Robitschek, um einer Deportation ins KZ Dachau zu entkommen, nach Triest und später nach Frankreich flieht, versorgt August, der das Weingut Sandgrube verpachtet hat, Paul mit Geld, Kleidung und Stücken aus der herrschaftlichen Wohnung. Robitschek gelingt schließlich die Flucht nach Caracas, wo er mit zäher Arbeit erneut ein Geschäft, dieses Mal mit Rum, aufbaut. Die Liebe der beiden verkraftet die zehn Jahre währende Trennung letztlich aber nicht, Paul stirbt einsam 1950 in Venezuela, August überlebt seinen Freund nur um drei Jahre.
Der flüssig geschriebene Roman belegt aufs Neue das unvorstellbare Ausmaß von Niedertracht, Homophobie und Antisemitismus, welches in der „deutschen Wachau“vorherrschte. Ein guter Rat vor der Lektüre: ausschlafen, Beruhigungspulver und Rotwein bereithalten. Er muss nicht aus Krems sein.