Porträts, Puff, „Pupperln“, Profiteure
Schwärmerisch. Allzu schwärmerisch? Rüdiger Görners Biografie des Jahrhundertkünstlers Oskar Kokoschka.
Rüdiger Görner, der Literaturwissenschaftler, ist begeistert, und zwar nicht (nur) von Trakl, von Rilke, sondern diesmal von einem Maler. Natürlich nicht irgendeinem, sondern dem „Jahrhundertkünstler“, so die Unterzeile zu seiner neuen Biografie von Oskar Kokoschka. Er hat sich dieses Brennen für einen selbst Brennenden zumindest nicht schmerzfrei gehalten. Für diese erste Biografie Kokoschkas seit 30 Jahren (so der Verlag, und man findet so schnell nichts Gegenteiliges) hat Görner sich tief in die Archive versenkt und einiges Neues gehoben.
Einen Essay etwa von Georg Simmel über die „Ästhetik des Porträts“in der „Neuen Freien Presse“vom 22. April 1905, der in Kokoschkas Auseinandersetzung mit dem Porträt bis zuletzt nachgewirkt hat (wenn er ihn überhaupt gelesen hat, was der Autor stark vermutet). Viele Überlegungen, viele Interpretationen durchziehen dieses aufwendig recherchierte, im Grundton schwärmerische Buch, das man sich gerade als Gegensatz zur expressiven Sprache des Künstlers sprachlich ein wenig trockener, sachlicher wünschte. Dafür vielleicht mit ein paar Bildern ausgestattet, was diesem Thema wohl keinen Abbruch getan hätte. Schmerzlich fehlt leider auch ein Personenregister.
Man muss sich schon ein wenig anstrengen hier. Auch die Chronologie wird immer wieder unterbrochen, um thematischen Erzählsträngen zu folgen, um Zeit und Ort manchmal ausschweifend zu verlassen Ein langer Exkurs in der Mitte etwa das Politikerporträt. Mit Wissen vor allem aus der Kokoschka begleitenden Literaturszene wird hier naturgemäß nicht gegeizt. Auch, das merkt man, faszinierten den Autor die politischen, pädagogischen und humanistischen Missionen, die Kokoschka aus dem Londoner und dann Schweizer Exil heraus betrieb und die dann in die Salzburger „Schule des Sehens“mündeten.
Es ist eine sehr persönliche Auseinandersetzung, durch die man gespannt mitmäandert und die einen vor allem dort überzeugt, wo der Autor zu zweifeln beginnt an seiner Hauptfigur. Wenn Kokoschka etwa mit seinen Förderern Karl Kraus und Adolf Loos durchgängig bleibt, wenn er antisemitische Aussagen, ähnlich denen der von ihm so geliebten Alma Mahler, tätigt (die der Autor an sich wenig zu schätzen scheint). Wenn Kokoschka, aufgeklärt von einem ausführlichen Brief seines Freundes Ludwig Münz, mit Nazi-Profiteuren wie Friedrich Welz engst zusammenarbeitet. Der Autor kennt keine Antworten auf derlei Widersprüche. Was ihn, so sichtbar wie sympathisch durch viele Fragezeichen erkennbar, ratlos zurücklässt (wie eben auch die Leser). Am Ende findet Görner dann aber eine recht simple Entschuldigung für all diese Schwächen, inklusive der einen nahezu überrollenden Woge an Liebeleien Kokoschkas und dessen auch für damalige Verhältnisse völlig jenseitigem Frauenbild („Pupperln“) – das seien eben die „Farben seines Lebens“gewesen.
Auch die große Hochachtung, die Görner, wie er schreibt, während seiner Arbeit für die junge Ehefrau Olda entwickelte, die diesem Mann, den sie bis zuletzt siezte, Leben und Kunst durch ihr Wirken im Hintergrund überhaupt erst ermöglichte, wirkt vor diesem Hintergrund zweifelhaft. Nur weil sie es ertrug, ist derartiges Verhalten noch lang nicht erträglich. Görner verschweigt zwar nichts, findet klare kritische Worte auch für die Pädophilie von Loos und Altenberg etwa, scheut aber davor, schnelle Urteile zu fällen, wie er betont. Ein Prinzip, das am Ende jedenfalls Kokoschka zugute kommt.