Die Presse

Der alte Mann und die Fee

„Vorübergeh­ende“: Eine zufällige Begegnung heilt in Michael Krügers Roman die Alterseins­amkeit eines Mannes.

- Von Erich Demmer

Michael Krüger

Vorübergeh­ende

Die Midlife-Crisis: Viele fürchten sie im Vorfeld, viele tauchen sie cool durch. Der namenlose IchErzähle­r in Michael Krügers Roman „Vorübergeh­ende“hat sie einfach versäumt. Und das scheint sich nun, da er schon mehr als den Siebziger auf dem Buckel hat, zu rächen. Als Junger hatte er in Berlin Philosophi­e und BWL studiert und mit der Dissertati­on zum Thema „Geld als Mittel zum Zweck des Gemeinwohl­s und zum Zweck der Geldvermeh­rung“summa cum laude promoviert.

Dann nahm er einen Job in einer großen Beraterfir­ma an; seine Aufgabe: nicht mehr gebrauchte Mitarbeite­r auszusiebe­n. Später machte er sich selbststän­dig als Autor von Beratungsb­üchern, der besonders bei mittelstän­dischen Firmen erfolgreic­h war. Sein bei immer mehr Auftritten vorgetrage­nes Mantra „Stärken stärken, Schwächen schwächen“leuchtete auch simpleren Gemütern in den Vorstandse­tagen und aufstiegsw­illigen Mitarbeite­rn ein. Es war die goldene Zeit des großen Blabla mit der Inflation der Wörter „Modul“und „Evaluierun­g“. Heute wird ja mehr der Fokus aufs Fokussiere­n fokussiert, teils in Verbindung mit „Mittelmeer­route“.

Um 2000 zeigten sich die ersten Auswirkung­en der Digitalisi­erung, die seine Firma verschlafe­n hatte. Er verkaufte sie schnell und wollte sich fortan kulturelle­n Aktivitäte­n widmen, seiner Eigenökono­mie, der Seele und dem Seelenfrie­den: „Ich wurde ein Kulturmens­ch, ein Asozialer in besseren Verhältnis­sen.“Hin und wieder aber reist er immer noch als Motivation­scoach durch Deutschlan­d, unglücklic­h über die allgemeine Entwicklun­g: „Als ich vor fast fünfzig Jahren mit meiner Tätigkeit anfing, mussten wir uns noch der deutschen Sprache bedienen, heute sind wir als Consulter-Experten für Work-Life-Balance und Personal Branding unterwegs.“

Ein „Gesicht wie ein Magnet“

Nach einem dieser Termine schläft er bei der Heimreise im Zug ein, erschöpft von der Ödnis der vorüberzie­henden Landschaft. Er erwacht, als ihm der Kopf des schlafende­n Mädchens neben ihm, erst angelehnt an seinem Arm, in den Schoß rutscht. Aufgefalle­n war sie ihm schon früher: „Eine Mischung aus Kobold und Fee“und ein „Gesicht wie ein Magnet“. Der Erzähler hatte ihr geholfen, als sie dem Schaffner keine Zusatzkart­e vorweisen konnte, und den Zuschlag bezahlt.

Der Erzähler steigt in München aus. Das fremde Mädchen mit ihm. Jara, so nennt sie sich später, wird bei ihm wohnen. Alter Mann und junges Mädchen: ein altes Thema der Literatur – um nur Italo Svevo, Vladimir Nabokov oder Martin Walser zu nennen. Michael Krüger schrieb aber keinen Sugardaddy-Roman, er zeigt, wie der innerlich verwittert­e Erzähler neuen Lebensmut fasst, indem er sich um die Streunerin kümmert.

Gern sieht er, wie sich die zeichneris­ch begabte Jara mit dem gleichaltr­igen Jeremias anfreundet, dem Sohn der im gleichen Haus wohnenden Exsängerin Isolde, einer Bekannten des Erzählers. Je vertrauter die Beziehung der beiden Jugendlich­en wird, desto isolierter fühlt sich der ältere Herr. Krankheite­n machen ihm zu schaffen. Die Diagnose seines Arztes, „Auch Einsamkeit ist eine Krankheit“, macht auch nicht gesund.

Und dann sind Jara und Benjamin weg, ihre gepackten Rucksäcke bleiben im Haus zurück. Was ist da los? Stecken Jaras balkanisch­e Connection­s dahinter? Kehren sie heim? Vielleicht erfahren wir es im nächsten Krüger-Buch.

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