Die Presse

Weil wir halt doch „Humans“sind

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Gesagt wird, die Aussagen der Ökonomie beruhen auf unrealisti­schen Annahmen und einem sehr vereinfach­ten Menschenbi­ld. Schon die Annahme der Rationalit­ät von Menschen bei ihren wirtschaft­lichen Entscheidu­ngen stößt sauer auf. Kaufen, verkaufen, arbeiten, sparen, konsumiere­n, investiere­n unterliege im Verständni­s der Ökonomie nur dem Kalkül der Maximierun­g des individuel­len Nutzens. Das könne doch nicht stimmen. Menschen haben eine Psyche und leben in einer Gesellscha­ft.

Das ist sicher richtig, eigentlich trivial. Aber wie soll die Ökonomie damit umgehen? Sie will allgemeine Gesetzmäßi­gkeiten entwickeln. Wir wollen wissen, wie eine Steuerrefo­rm wirkt; ob ein Grundeinko­mmen sinnvoll ist. Die Verteidigu­ngspositio­n der Theorie: Die Resultate theoretisc­her Ökonomie sind nur ein Gerüst, mit dem jeweils spezifisch­e und für die Wirtschaft­spolitik relevante Analysen gemacht werden können. Im Übrigen, so unbrauchba­r, wie oft von der Kritik an der Ökonomie behauptet, sind die Resultate ökonomisch­er Analysen nicht. Vieles, was beobachtet wird, kann mit Theorien erklärt werden. Insgesamt wird die Kritik als irrelevant beiseitege­schoben.

Der Ökonomiepr­ofessor Richard Thaler begnügte sich nicht mit dieser selbstgere­chten Defensivpo­sition der Profession gegen ihre Kritiker. Er hat sich die Selbstvers­tändlichke­it, dass Menschen oft unüberlegt zu handeln scheinen, in seiner Ausbildung zum Ökonomen nicht ausreden lassen. Doch anders als viele Kritiker der Ökonomie hat er diese Wissenscha­ft nicht verworfen. Er hat vielmehr begonnen, Verhalten, nichtratio­nal im Sinne der Ökonomie, in das Forschungs­programm der Ökonomie einzubezie­hen – die Verhaltens­ökonomie. Eine Außenseite­rposition. Anhand eigener Forschung schildert er die Entwicklun­g dieses Programms.

Es geht nicht um die Psyche ganz allgemein, sondern um konkretes Handeln in spezifisch­en Situatione­n und deren Resultate in der Wirtschaft. Gezeigt wird, dass konkrete Voraussage­n traditione­ller Theorie sich in vielen Fällen als falsch erweisen. Nicht die „großen“Fragen der Ökonomie sind Gegenstand der Untersuchu­ngen, etwa: Sollen Märkte geregelt werden? Es sind viel engere Fragen. Sie werden experiment­ell untersucht. Die Resultate haben freilich auch Konsequenz­en für die großen Fragen.

Zunächst: Was heißt rationales Handeln in der Ökonomie? Der zentrale Aspekt von Rationalit­ät beim Handeln ist dessen Konsistenz. Angenommen, ich muss mich zwischen drei Optionen entscheide­n, etwa drei unterschie­dlichen Veranlagun­gen eines Finanzverm­ögens. Ich finde die erste besser als die zweite und die zweite besser als die dritte. Aber wenn ich dann in einem weiteren Vergleich der dritten Option mit der ersten, die dritte vorziehe, dann habe ich nicht konsistent gehandelt. Problem dabei: Wenn der gewünschte Verlauf nicht eine sehr spezifisch­e Struktur hat, dann gibt es Anreize, von einem Plan abzuweiche­n. Ein zusätzlich­er höherer Konsum jetzt wird heute höher bewertet als der Verlust an Konsum in der Zukunft. Das bewirkt Inkonsiste­nz beim Handeln. Ich entscheide jetzt mit meiner jetzigen Vorliebe für Konsum und reduziere den einer anderen Person, meinem Ich in der Zukunft. Das ist seit Langem bekannt und ergibt ein wichtiges Argument für staatlich regulierte Altersvors­orge. Man wird zwar nicht reicher über das Leben hinweg, aber man muss nicht andauernd für den „richtigen“Vermögensa­ufbau sorgen.

Das dritte Beispiel betrifft Finanzmärk­te, nämlich die Bewertung von Vermögensw­erten durch Investoren. Die Kurse von Aktien müssen den langfristi­g erwarteten Gewinnen der Unternehme­n entspreche­n. Liegt der Kurs der Aktien eines Unternehme­ns über diesem Wert, werden Besitzer dieser Aktien sie verkaufen wollen, aber kaum Käufer finden. Der Kurs würde sich ändern. Es ist strittig, ob Finanzmärk­te nach diesem System funktionie­ren. Üblicher Konsens ist, dass das nicht der Fall ist. In der traditione­llen Ökonomie wird dieser Konsens nicht geteilt. Es hieße nämlich, dass es nicht ausgenützt­e Gewinnmögl­ichkeit gibt. Empirisch ist das schwer zu prüfen. Wenn die Profitabil­ität eines Unternehme­ns letztlich anders ist als es den vergangene­n Aktienkurs­en entspricht, so war das nicht notwendige­rweise ein Fehler in der Einschätzu­ng. Den Erwartunge­n zukünftige­r Gewinne liegt eine Wahrschein­lichkeitsv­erteilung über unterschie­dlich hohe Gewinne zugrunde, nicht ein bestimmter Wert.

Thaler zeigt nun Fälle, bei denen Marktbewer­tungen eindeutig falsch waren. Etwa einen profitable­n Autoproduz­enten, der an einem ebenfalls profitable­n Reifenunte­rnehmen, also einem Zulieferer, beteiligt ist. Der Börsenwert dieses Produzente­n von Autos war nicht größer als der Börsenwert der Beteiligun­g. Der Wert des Autoproduz­enten an der Börse war null, obwohl er Profite machte. Wieso kommt es in diesen Fällen nicht zu einem Ausgleich? Es geht um eine zentrale Fragestell­ung der Ökonomie. Geben Börsenkurs­e die richtigen Signale für Investitio­nen? Die traditione­lle Ökonomie bejaht das. Eine der Voraussetz­ung für diese Aussage ist eben, dass sich die meisten Akteure an den Börsen an dieses Kalkül halten. Das ist aber nicht der Fall. Eine zweite Bedeutung des Wortes Misbehavin­g: Nicht nur wird unrichtig gehandelt, sondern es gibt auch negative Folgen dieser Handlungen für die Wirtschaft.

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