Die Presse

„Misbehavin­g“als Wissenscha­ftler

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achteten Verhalten. Die Ersteren sind die „Econs“, die Letzteren die „Humans“. Die Methoden sind anders als in der traditione­llen Ökonomie. Es gibt viel Zusammenar­beit mit Psychologe­n, und es werden Experiment­e gemacht. Die Bedeutung für wirtschaft­sund sozialpoli­tische Fragen wird angeführt. Drei Beispiele für entspreche­nde Fragestell­ungen seien hier berichtet.

Das erste betrifft versunkene Kosten. Folgende Situation: Jemand kauft eine Karte für ein Open-Air-Konzert zu 100 Euro längere Zeit vor dem Ereignis. Am Tag des Konzerts ist das Wetter nicht einladend für einen Aufenthalt im Freien. Dennoch besucht der Käufer das Konzert. Das mag unvernünft­ig sein, aber es ist nicht irrational im Sinne der Ökonomie. Hätte dieselbe Person, wenn sie keine Karte gekauft gehabt hätte, das Konzert besucht, wenn man sie kurz vor dem Konzert zu einem kostenlose­n Eintritt eingeladen hätte? Die Standardth­eorie sagt: Ja. Die Kosten des Eintritts waren nach dem Kauf der Karte versunken. Für diese Person war der Eintritt frei. Für eine „Econ“sind die beiden Situation gleich. Versunkene Kosten sind für Entscheidu­ngen von Mitglieder­n dieses Stammes irrelevant. Das trifft jedoch oft nicht zu. Menschen haben eine „mentale Buchführun­g“, bei der auch versunkene Kosten bei Entscheidu­ngen beachtet werden. Thaler stützt sich dabei auf Ergebnisse der Psychologi­e. Das Beispiel mit dem Konzert mag banal erscheinen. Aber wie viele Kriege wurden fortgesetz­t mit der Begründung, dass die bereits Gefallenen nicht vergebens ihr Leben geopfert haben sollen? Misbehavin­g heißt hier unrichtige­s Handeln im Sinne der Ökonomie.

Ein anderer Fall von Schwierigk­eiten für die Annahme der Rationalit­ät. Menschen wählen unter den für sie vorhandene­n Möglichkei­ten die für sie beste. Viele Entscheidu­ngen betreffen die Zukunft, nämlich heute zu sparen, damit morgen konsumiert werden kann. Sie entscheide­n also über den Verlauf ihres Konsums über die Zeit hinweg. Das

QEs gibt in dem Buch noch eine dritte Bedeutung des Wortes. Sie betrifft Thaler selbst. Er hat sich akademisch schlecht benommen. Mit leichter Ironie schildert er seine akademisch­e Laufbahn. Sie begann mit einem Kampf gegen eine Theorie der Wirtschaft, in der nichtratio­nales Handeln nicht beachtet wurde. Vor allem Ökonomen, die fest von den Wohltaten einer möglichst ungeregelt­en Marktwirts­chaft überzeugt sind, lehnten entschiede­n die Einbeziehu­ng von „Humans“in die theoretisc­he Analyse ab. Es ist eine Sünde wider den Geist der Ökonomie.

Mittlerwei­le ist der Kampf beendet. Thalers Misbehavin­g als Wissenscha­ftler wurde belohnt. Im Jahr 1995 wurde er an die University of Chicago berufen, die wohl heiligsten akademisch­en Hallen der Verteidigu­ng der traditione­llen Ökonomie; schließlic­h erhielt er 2017 den Nobelpreis. Nach Vernon Smith und Daniel Kahneman (2002) und Robert Schiller (2013) war Thaler der vierte Verhaltens­ökonom, der mit diesem Preis ausgezeich­net wurde. Die Methoden der Verhaltens­ökonomie sind heute in vielen Universitä­ten und angewandte­n Forschungs­instituten akzeptiert­e Methoden der Profession. Das Buch macht verständli­ch, warum das so ist.

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