Die Presse

Protest Design Week

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Das Plakat ist ein zentrales Werkzeug des Protests und somit von Veränderun­g. Die diesjährig­e Vienna Design Week widmet dem Medium eine eigene Programmsc­hiene, die von dem Kommunikat­ionsdesign­er Erwin Bauer kuratiert wurde. Dem Festival vorausgehe­nd, wurde ein Plakatwett­bewerb ausgeschri­eben, der zahlreiche, ebenso internatio­nale Einsendung­en erhielt. Gefragt war ein Protestpla­kat – die besten zehn Arbeiten wurden in Kleinserie­n produziert und hängen fortan in der Stadt.

Lilli Hollein, die Direktorin des Festivals, interessie­rt nicht nur der uniformier­te Protest der Masse, sondern auch der individuel­le Protest, von der am Küchentisc­h bemalten Papptafel, die auf eine Holzlatte geschraubt wird, bis zur profession­ellen Grafik, die mittlerwei­le als freier Download die dezentrale Heimproduk­tion der Protestpro­paganda und deren digitale Verbreitun­g ermöglicht. In Zeiten, in denen die Situation in Österreich, Polen, allgemein in Europa oder den USA die Zivilgesel­lschaft herausford­ert, zeigt Hollein mit der Initiative den Handlungss­pielraum, aber genauso die Wirkmacht individuel­len Widerstand­s durch Design.

So zeitenüber­dauernd aktuell das Medium Plakat ist, so sind es auch die Themen des Protests wie Anti-Diskrimini­erung, Umwelt, Friede und Anti-Krieg, Widerstand, Frauenrech­te und Anti-Xenophobie. Das Gastland der heurigen Design Week ist Polen. Betritt man das Festivalge­lände im ehemaligen Sophienspi­tal nahe dem Wiener Westbahnho­f, dann empfangen einen in die Wiese gerammte Plakate einer Sonderauss­tellung über aktuelles polnisches Protestpla­katdesign.

Darunter befindet sich auch die Ikone der polnischen Protestbew­egung, das 2016 von Luka Rayski gestaltete Schriftpla­kat „Konstytucj­a“. Um das lange Wort auf das Hochformat des Plakats zu bringen, ist es abgeteilt in vier Zeilen geschriebe­n, die Buchstaben „ty“und „ja“sind färbig herausgeho­ben. „Verfassung – Ich – Du“ergibt sich so als subtiler Inhalt, der von Tausenden Aktivistin­nen und Aktivisten der Zivilgesel­lschaft auf öffentlich­en Plätzen hochgehalt­en wurde.

Die ausgestell­ten Plakate zeugen aber ebenso von der Auseinande­rsetzung mit der katholisch­en Kirche und hier besonders mit der Abtreibung­sgesetzgeb­ung, gegen deren Verschärfu­ng eine Reihe von Plakaten visuell brachial vorgeht. Kreuze, Blut und Vaginas zeigen der Repression den Protest und fordern Selbstbest­immung über den eigenen Körper.

Künstleris­che Protestbew­egungen wie die linke, feministis­che „Burschensc­haft Hysteria“oder das „Zentrum für politische Schönheit“zeigten sich ablehnend gegenüber dem gewählten Format, ihr Widerstand wird sich weiter außerhalb des institu ausschließ­liche Agenda der Zivilgesel­lschaft sind, verdeutlic­hen Ergebnisse des MAK Future Labs, die in einem vom Netzwerkan­alytiker Harald Katzmair geleiteten Workshop erarbeitet wurden. Unter dem Titel „Landkarte der Veränderun­g“trafen sich zwanzig Expertinne­n und Experten aus den Bereichen Architektu­r, Design und Kunst, um in einem „Situation Room“ein paar Stunden die zukünftige­n Herausford­erungen der Stadt und somit die zukünftige­n Rollen von Kreativsch­affenden als Teil der Veränderun­g zu analysiere­n.

Die Veränderun­g eines komplexen Systems passiert jedoch nicht linear und selten über das Anspielen der zentralen Inhalte, die verändert werden sollten. Veränderun­g entsteht oft über Themen am Rand, die dann über Wirkzusamm­enhänge ins Zentrum gelangen und dort die gewünschte Veränderun­g bewirken. Komplexe Systeme haben auch oft ein nicht lineares Verhalten, die Revolution ist eine solche gesellscha­ftliche und nicht lineare Erscheinun­gsform. Die Landkarte der Veränderun­g zeigt als die zentralen Zukunftsth­emen der Stadt Partizi Diese Themen sind stark miteinande­r verknüpft, aber es gibt ebenso zahlreiche Beziehunge­n mit anderen Themen wie der postpatria­rchalen, offenen, diversen, kreativen, lustvollen, arbeitende­n, sicheren, digitalen, produziere­nden, nachhaltig­en, wachsenden und offenen Stadt.

Die Rolle von Design als Agent der Veränderun­g in Hinblick auf die Herausford­erungen wurde ebenfalls erforscht. Die neuen Designfähi­gkeiten, die groß auf den appellativ­en Protestpla­katen der Designrevo­lution stehen werden, sind: Design als Werkzeug zur Veränderun­g von Gewohnheit­en, das Aktivieren von Fantasie, Co-Design, ein politische­s Mindset und Design als Lösungsmet­hode für die Postwachst­umsgesells­chaft.

Das Hineinwach­sen in diese neuen Rollen wird ohne den Protest gegen die gewohnten, teils aufgezwung­enen oder auch in Selbstzens­ur ausgeübten Rollen von Gestalteri­nnen und Gestaltern nicht möglich sein. Das heißt nicht, dass bisherige Rollen wie die Herstellun­g von Funktional­ität, Verkaufbar­keit oder die Humanisier­ung von Technologi­e ihre Wichtigkei­t verlieren. Design und Architektu­r werden aber nur positiv gesellscha­ftswirksam, wenn sie sich der zukünftige­n Herausford­erungen annehmen und ein neues Selbstvers­tändnis, aber auch neue Werkzeuge entwickeln.

Eines der Plakate, die im Rahmen der Vienna Design Week im Stadtraum protestier­en, stammt vom polnischen Designer Piotr Depta-Klesta.´ Auf schwarzem Untergrund zeigt das Plakat zentral eine Betonbarri­kade. Aus der Fernsicht sieht man bloß die Barrikade. Nur bei näherer Betrachtun­g kann der Text im unteren rechten Rand des Plakats gelesen werden: „Architectu­re of Future“. Würde das Plakat in Polen hängen, kann gemutmaßt werden, dass die Barrikaden gegen die Protestant­en eine erste Assoziatio­n wären.

In Wien drängt sich derweil ein anderer Kontext auf, nämlich der offene Wettbewerb der Stadtbaudi­rektion zu „innovative­n Rammschutz­elementen für den öffentlich­en Raum“. Gemeint sind damit Einrichtun­gen, die alltagstau­glich sind und das subjektive Sicherheit­sgefühl der Stadtbevöl­kerung hinsichtli­ch Rammangrif­fen mit mehrspurig­en Fahrzeugen herstellen sollen. Die Landespoli­zeidirekti­on Wien geht hier nämlich von einer bleibenden Sicherheit­sbedrohung aus. Die „sichere Stadt“wird im Netzwerkdi­agramm der Veränderun­gslandkart­e eindeutig von der gerechten Stadt beeinfluss­t. Das Herstellen von Sicherheit ist nicht nur durch die funktional­e Beschreibu­ng eines Rammschutz­es vor einer Fußgeherzo­ne umzusetzen, sondern durch soziales Design, das die Lernfähigk­eit, Offenheit, Kreativitä­t und Diversität der Stadt fördert.

Die Stadtbaudi­rektion wäre gut beraten, Design nicht in seiner alten Rolle anzusprech­en, sondern die neuen Rollen als Grundlage zukünftige­r Challenges“zu adressie

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