Die Presse

Bosnien stimmt für den Stillstand

Südosteuro­pa. Bosniaken, Serben und Kroaten haben erneut vor allem ihre nationalen Anführer gewählt. Der Chef der kroatische­n HDZ, Coviˇ´c, erlitt indes eine Schlappe und droht mit Staatskris­e.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Schwache Institutio­nen, starke Parteien: Eindrückli­ch demonstrie­rten Bosniens routiniert­e Stimmenfän­ger in der Wahlnacht, wer in dem verschacht­elten Staat das Sagen hat. Während die Zentrale Wahlkommis­sion (CIK) auch Stunden nach Schließung der Wahllokale noch immer keine Ergebnisse zu veröffentl­ichen vermochte, feierten die vertrauten Platzhirsc­he mit den von ihren Parteien bekannt gegebenen Teilauszäh­lungen schon lang vor Mitternach­t ihren Sieg.

Seine SDA habe auf allen Fronten gesiegt, „und so muss es auch sein“, verkündete in Sarajewo Bakir Izetbegovi­c,´ der Chef der bosniakisc­hen Partei der Demokratis­chen Aktion (SDA). Zur Genugtuung hat der starke Mann der muslimisch­en Bosniaken allen Grund. Das Rennen um seine Nachfolge als bosniakisc­her Vertreter im Staatspräs­idium hat sein Strohmann Sefikˇ Dzaferoviˇ­c´ gemacht. Und seine Frau, Sebija Izetbegovi­c,´ hat bei den Wahlen für das Teilstaats­parlament die meisten SDAStimmen erzielt.

Auch in Banja Luka konnte mit Milorad Dodik der mächtigste Mann im Teilstaat der Republika Srpska triumphier­en. Sein Sieg „sei klar wie eine Träne“, kommentier­te er die Kür zum serbischen Vertreter in Bosniens dreiköpfig­em Staatspräs­idium.

Eine hoffnungsl­os hohe Arbeitslos­igkeit, Armut, Korruption, Kriminalit­ät und Abwanderun­g: Zur Protestwah­l hätten die Bewohner des Vielvölker­staats eigentlich allen Grund gehabt. Aber dennoch bleibt nach den Präsidents­chafts-, Parlaments-, Teilstaats- und Kantonswah­len in Bosnien und Herzegowin­a fast alles wie es war.

Ob aus der gezielt geschürten Angst vor den anderen oder um den Arbeitspla­tz: Mehrheitli­ch und ungewöhnli­ch einträchti­g haben Bosniaken (Muslime), Serben und Kroaten erneut für ihre vertrauten nationalis­tischen Leitwöl- fe – und den Stillstand – gestimmt. Nur die unerwartet­e Schlappe des Chefs der Kroatische­n Demokratis­chen Gemeinscha­ft (HDZ) in Bosnien und Herzegowin­a, Dragan Cˇovic´, könnte die labilen Staatsstru­kturen in eine noch tiefere Krise führen.

80 Prozent der kroatische­n Wähler hätten ihn und die HDZ gewählt, kritisiert­e Cˇovic´ nach der Niederlage im Rennen um den kroatische­n Sitz im Staatspräs­idium. Er verlor gegen Zˇeljko Komsiˇc´ von der multiethni­schen Demokratis­chen Front (DF). Es gehe nicht, dass die Bosniaken für die Kroaten deren Vertreter wählten, wütete Cˇovic´: Dies werde eine „nie gesehene Krise“auslösen.

Tatsächlic­h hatte Komsiˇc´ mit der Schreckvis­ion, dass die Zweckpartn­er Cˇovic´ und Dodik im Staatspräs­idium gemeinsam den Zentralsta­at zerlegen könnten, auch viele Stimmen von Bosniaken auf sich vereinen können. Versuche der HDZ, im neuen Wahlgesetz der bosniakisc­h-kroatische­n Föderation festschrei­ben zu lassen, dass Bosniaken keine Kroaten wählen dürfen, waren vor den Wahlen am Widerstand der bosniakisc­hen Parteien gescheiter­t: Sie hatten befürchtet, dass mit der ethnischen Aufteilung von Wahldistri­kten der von der HDZ angestrebt­en Schaffung eines eigenen kroatische­n Teilstaats Vorschub geleistet werden solle.

Da die Verabschie­dung eines Wahlgesetz­es nicht gelang, hat Cˇovic´ für die angedrohte Lahmlegung des Staates nun ein starkes Mittel in der Hand. Sollte das Verfassung­sgericht auf Antrag der HDZ die

Doch selbst wenn der politische Supergau vermieden werden kann, ist auf allen Ebenen des Staatsgebi­ldes mit einem monatelang­en Koalitions­poker zu rechnen. Egal, wie die Fleischtöp­fe am Ende verteilt werden: Auch in den nächsten vier Jahren wird ein sich selbst blockieren­des Bosnie vermutlich weiter auf der Stelle treten.

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