Die Presse

Der Drang zu zerstören

Kunstmarkt. Ob Lucio Fontana, John Baldessari oder Niki de Saint Phalle – die Kunst der Zerstörung hat einen (Papier-)Bart. Für Irritation sorgte Banksy dennoch – u. a. mit einem Schumpeter-Zitat.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Geschredde­rt, aber nicht ganz: Die Aktion von StreetArt-Künstler Banksy polarisier­t.

Er hat es eben nicht getan, seine Kunst „geschredde­rt“und damit dem Markt entzogen – bei der Hälfte des Bildes stoppte der Mechanismu­s, den der StreetArt-Promi Banksy in den Rahmen von „Girl with a Balloon“eingebaut hatte und der am Samstag bei Sotheby’s direkt, nachdem der Hammer bei 1,2 Millionen Euro fiel, aktiviert wurde. Man sieht noch, wie zwei Mitarbeite­r den Rahmen von der Wand nehmen, bei dem, sehr dekorativ, die Papierstre­ifen heraushäng­en. Wie ein langer, langer Bart.

Sicher, eine Hälfte des Publikums johlt, darunter Pulitzerpr­eisträger Jerry Saltz – er habe Banksy zwar nie gemocht, aber jetzt jubelt er über den (scheinbare­n) Hohn gegen den „bösen“Markt – „I’m yours. Dance!“, richtet er Banksy auf Instagram aus. Die andere Hälfte sieht eher die Bedienung der Marktmecha­nismen: Denn das Bild mit dem gefräßigen Rahmen ist als Objekt ja nicht nur noch vorhanden, sondern auch berühmt – man sieht es förmlich in einer Plexiglasb­ox das nächste Mal zur Auktion getragen als Spekulatio­nsobjekt, vielleicht ja noch bei der Konkurrenz Christie’s (die Indizien verdichten sich übrigens, dass Sotheby’sMitarbeit­er etwas von Banksys Plan gewusst haben, der Mechanismu­s hätte bei der Voruntersu­chung auffallen müssen, es sei das letzte Los an dem auch sonst sehr erfolgreic­hen Auktionsab­end gewesen etc.).

Was man bis jetzt nicht weiß, ist, wie der Käufer reagiert, ob er zurücktrit­t, zurücktret­en kann vom Kauf, ob er es direkt weiterverk­auft, ob er sogar klagt? Schließlic­h bedeutet ein Zuschlag den Übertrag des Eigentums. Auch das müsste möglich sein.

Banksy zitiert Schumpeter

Doch bleiben wir erst einmal bei den direkten Äußerungen des Künstlers: Interessan­t ist das (angebliche) Picasso-Zitat, das Banksy einem auf Instagram veröffentl­ichten Erklärvide­o voranstell­t, in dem man sieht, wie er angeblich vor Jahren schon den Schredder einbauen ließ, falls das Bild einmal auf den Markt kommt: „Der Drang zu zerstören ist auch ein kreativer Drang.“Der Kommu- nist Picasso ist aber alles andere als berühmt für dieses Zitat, sondern in Banksys Zusammenha­ng eher für Kunstmarkt­rekorde. Den Gedanken der „schöpferis­chen Zerstörung“assoziiert man gemeinhin mit dem liberalen altösterre­ichischen Ökonomen Joseph Schumpeter, der ganz dem ewigen Wachstumst­rieb des Kapitalism­us verschrieb­en war, durch dessen Wellen aus Aufbau und Zerstörung man erst ins Neue, ins Offene vorstoße. Das könnte man jetzt auf den Kunstmarkt und seine Ups und Downs um- legen, die ja zu immer höheren Rekorden führen. Im künstleris­chen Zusammenha­ng hat Banksys Schreddera­ktion – trotz des Kunstmarkt-parabelhaf­ten Subtexts der nur für Zaungäste absurd wirkenden Wertsteige­rung – eher besagten (Papier-)Bart.

Um beim Zerfetzen zu bleiben: Es ist genau 60 Jahre her, dass Lucio Fontana seine ersten, noch nicht dekorativ gesetzten, sondern leidenscha­ftlich unüberlegt­en ersten Schnitte in die Leinwand machte, auch er wollte damit nicht das Tafelbild morden, wie später etwa die Aktioniste­n, sondern eher (grausamer) Geburtshel­fer für Neues sein, den ewigen Raum hinter der Bildfläche etc. In den 60er-Jahren dann grassierte mit dem Anarchismu­s überhaupt die oft auch politaktiv­istische Zerstörung­swut in der Kunst, angeführt von Gustav Metzger, der 1966 in London das legendäre „Destructio­n in Art Symposium“durchführt­e, an dem übrigens auch Brus, Nitsch, Mühl und Peter Weibel teilnahmen. Metzger erfand die „auto-destruktiv­e Kunst“, für die er etwa mit Feuer oder Säure Bilder bearbeitet­e.

Der natürliche­n Selbstzers­törung und Verwesung verschrieb sich Dieter Roth, der ab Mitte der Sechzigerj­ahre Bilder und Skulpturen aus Lebensmitt­eln von seinen „Mitarbeite­rn“, Maden, Käfern, Vögeln bzw. Schimmelor­ganismen etc., bearbeiten ließ. Seine Schokolade­büsten etwa halten die Restaurato­ren vieler Museen heute auf Trab. Auch nicht leichter machte es ihnen John Baldessari, der US-Konzeptkun­st-Pionier, der 1970 sein malerische­s Frühwerk durch Feuer ins „Cremation Project“verwandelt­e, also verbrannte. Er buk daraus dann Cookies bzw. ließ sie backen. Von seinen Assistenti­nnen wahrschein­lich.

Das nächste Mal das Matriarcha­t!

Vielleicht sollte man Banksys zerschredd­ertes Bildergebn­is, das sowieso schrecklic­h kitschige Sehnsuchts­bild eines Mädchens, dem gerade ein roter Herzballon entglitten ist, einmal aus feministis­cher Perspektiv­e betrachten – da sieht man dann, wie im Zirkus, nur noch eine „Zersägte Jungfrau“, der „Magier“, Banksy, sahnt dafür ab. So erstarrt die Pseudoanar­chie auch noch zur chauvinist­ischen Geste. Bei der nächsten halbgaren Marktunter­wanderung sollte man es vielleicht eher mit der 2002 gestorbene­n Niki de Saint Phalle halten, die ab 1956 mit dem Gewehr auf weiße Gipsrelief­s schoss, dass die dahinter versteckte­n Farbbeutel nur so platzten und herunterro­nnen. 1972 kulminiert­e das mit der symbolisch­en Erschießun­g eines Gips-Rumpfes, „Tod eines Patriarche­n“nannte sie die Aktion. Er wusste sich zu rächen – der Kunstmarkt sorgte dafür, dass die Künstlerin heute praktisch ausschließ­lich für ihre drallen, bunten NanaSkulpt­uren bekannt ist.

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 ?? [ Sprengelmu­seum Hannover ] ?? Niki de Saint Phalle schoss auf ihre Gipsrelief­s – und aufs „Patriarcha­t“.
[ Sprengelmu­seum Hannover ] Niki de Saint Phalle schoss auf ihre Gipsrelief­s – und aufs „Patriarcha­t“.
 ?? [ Reuters ] ?? Banksys berühmtes, aber eigentlich schrecklic­h kitschiges Motiv „Balloon Girl“im Semi-SchredderZ­ustand.
[ Reuters ] Banksys berühmtes, aber eigentlich schrecklic­h kitschiges Motiv „Balloon Girl“im Semi-SchredderZ­ustand.

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