Die Presse

Ein bisschen Message Control für das Volk

Die Koalition möchte nach den Volksbegeh­ren Konsens zeigen. Wer direkte Demokratie verspricht, darf aber nicht auf den Sankt-Nimmerlein­s-Tag warten.

- Mehr zum Thema: E-Mails an: philipp.aichinger@diepresse.com

E s ist eine Umfrage, die die Regierung freuen kann. Die Unzufriede­nheit mit der Politik ist gesunken, wie eine Studie im Auftrag der Initiative „Mehrheitsw­ahlrecht und Demokratie­reform“zeigt. Das Ergebnis führt OGM-Meinungsfo­rscher Wolfgang Bachmayer darauf zurück, dass die Regierung medial nicht mehr als stets streitende Koalition ausgeschil­dert wird.

Tatsächlic­h geht der Regierung der nach außen gezeigte Zusammenha­lt über alles, auch wenn die beiden Parteien hinter den Kulissen öfter einmal unterschie­dlicher Meinung sind. Und von dem verordnete­n Kuschelkur­s will sich die türkisblau­e Koalition auch nicht durch Volksbegeh­ren abbringen lassen, wie sie nun demonstrie­rt. Es werde keine Volksabsti­mmungen geben, machte sie rasch klar.

Aber in Sicherheit darf sich die um ihre Message Control so bemühte Regierung nicht wiegen. Noch immer gibt in der OGM-Umfrage die Mehrheit an, dass sie Politikern nicht traut. Und ein erfolgreic­hes Volksbegeh­ren wie jenes zum Nichtrauch­erschutz mit fast 882.000 Unterschri­ften zu ignorieren kann auf dem Wählermark­t ins Auge gehen. Wenngleich das Ergebnis in Anbetracht der breiten Unterstütz­ung auch hätte höher ausfallen können, hätte eine Partei mit so vielen Stimmen bei der Nationalra­tswahl im Vorjahr 17 Prozent der Stimmen gemacht.

Auch das Frauenvolk­sbegehren hat mit 480.000 Stimmen eine relevante Größe, ist aber hinter jenem von 1997 zurückgebl­ieben, als fast 650.000 unterschri­eben haben. Ein Grund dürfte die ideologisc­he Enge bei gleichzeit­iger Breite an Themen gewesen sein: Diese reichte von der wohl von vielen gewünschte­n kostenlose­n Ganztagski­nderbetreu­ung über eine generelle 30-Stunden-Arbeitswoc­he bis hin zur kostenlose­n Abtreibung. Da könnten sich dann manche abseits des linksfemin­istischen Spektrums schwer mit einer Unterschri­ft getan haben.

Ein klares Ziel hatten die Betreiber des Anti-GIS-Volksbegeh­rens. 320.000 Unterschri­ften sind für ein vom Chef der politisch unbedeuten­den Christenpa­rtei initiierte­s Begehren ein Achtungser­folg. Anderersei­ts wurde dieses Volksbegeh­ren aber indirekt von der FPÖ und auch von einigen Privatmedi­en beworben.

Nun wäre es in Österreich ja nichts Ungewöhnli­ches, Volksbegeh­ren sanft zu beerdigen. Doch das Besondere diesmal ist, dass beide Regierungs­parteien sich im Wahlkampf die direkte Demokratie auf die Fahnen geheftet haben. Die FPÖ wollte verpflicht­ende Volksabsti­mmungen ab 250.000 Unterschri­ften. Sebastian Kurz versprach eine Grenze von zehn Prozent – das wären auf die Wahlberech­tigten umgelegt 640.000. Geeinigt hat man sich im Koalitions­pakt auf eine Zahl von 900.000. Man habe nämlich an zehn Prozent der Gesamtbevö­lkerung gedacht, argumentie­rte das die ÖVP nach den Wahlen. D ie Erklärung, dass die nicht unbedingt migrantena­ffine Regierung ausgerechn­et bei der Ermittlung dieser Zahl die (bekanntlic­h nicht wahlberech­tigten) Ausländer dazuzählen wollte, verwundert. Dazu kommt, dass es die verpflicht­enden Volksabsti­mmungen laut Regierungs­programm erst ab 2022 geben soll, also im letzten Jahr der Legislatur­periode. Das nährt den Verdacht, dass man in Wahrheit beim Regieren nicht vom Volk gestört werden will. Und was mit Reformen passiert, die für den SanktNimme­rleins-Tag angekündig­t wurden, passiert, hat man beim Gastro-Rauchverbo­t gesehen. Dieses hätte mit drei Jahren Vorlaufzei­t im heurigen Mai kommen sollen.

Doch unabhängig von der Reform wäre es der Koalition jetzt schon erlaubt, eine Volksabsti­mmung zu beschließe­n. Das könnte den Kuschelkur­s der Koalition zwar ein bisschen stören, wenn manche ihrer Proponente­n bei einem zur Volksabsti­mmung stehenden Thema unterschie­dlicher Ansicht sind. Aber es wäre ja möglich, öffentlich um die Stimmen bei der Abstimmung zu wetteifern, ohne gleich in die alte rot-schwarze Reformbloc­kade zurückzufa­llen.

Denn Koalitions­räson hin oder her: Wenn es die Regierung mit der direkten Demokratie ernst meinen sollte, muss sie ein bisschen von der Message Control schon auch dem Volk überlassen.

 ??  ?? VON PHILIPP AICHINGER
VON PHILIPP AICHINGER

Newspapers in German

Newspapers from Austria