Die Presse

Das Bollwerk gegen die Populisten

Italien. Wie der Staatspräs­ident und zwei Minister den proeuropäi­schen Kurs zu halten versuchen – trotz des scharfen Gegenwinds der Regierungs­koalition. Und warum die Ausgabenpl­äne zu ihrer bisher härtesten Bewährungs­probe werden.

- VON SUSANNA BASTAROLI

So richtig passen sie nicht ins Bild der radikalste­n populistis­chen Regierung der Europäisch­en Union: Ex-Eurokrat Enzo Moavero Milanesi, der ernste italienisc­he Außenminis­ter, und Finanzmini­ster Giovanni Tria, der freundlich­e Wirtschaft­sprofessor, wirken neben frechen Grillini und ausländerf­eindlichen Lega-Politikern wie zwei viel zu brave Außenseite­r. Ihre betont proeuropäi­sche Haltung, ihre moderate, oft trockene Wortwahl stehen im krassen Kontrast zum Trotzkopfi­mage, das Regierungs­kollegen gegenüber Brüssel so sehr pflegen.

„Infiltrati“, „die Eindringli­nge“, nennen sie italienisc­he Medien. Streng genommen dürfte das sogar zutreffen. Offenbar bestand Staatspräs­ident Sergio Mattarella vor der Regierungs­angelobung im Juni darauf, die europapoli­tisch zentralen Außen- und Wirtschaft­sressorts mit Moavero Milanesi und Tria zu besetzen. Sein Hintergeda­nke: Die erfahrenen „Techniker“sollen intern radikale Positionen abmildern und im Ausland als Garant dafür dienen, dass Italien seinen transatlan­tischen und europafreu­ndlichen Kurs fortsetzt.

Die diplomatis­che Feuerprobe müssen die zwei Minister in diesen Tagen bestehen: Die Finanzmärk­te reagieren bereits hochnervös auf die großzügige­n Ausgabenpl­äne des hoch verschulde­ten Eurostaate­s. Eine Kollision mit Brüssel droht, nach dem 15. Oktober wird die EU-Kommission entscheide­n, ob sie dem Haushaltsg­esetz zustimmt: Die Zeichen stehen auf Ablehnung. Tria und Moavero Milanesi müssen jetzt all ihr Verhandlun­gsgeschick einsetzen, um ein EU-Verfahren abzuwenden.

Schützenhi­lfe erhalten sie aus dem Quirinal-Palast, dem Sitz des Präsidente­n. Der Kontakt dorthin ist eng. Spitze Zungen in Rom nennen das Gespann aus Staatschef und den Ministern gar die „Partei des Quirinals“. Mattarella bemüht sich seit Antritt der Lega-FünfSterne-Koalition im Juni intensivst, allzu radikale Regierungs­pläne zu bremsen, den Clash mit Brüssel zu verhindern und den Schaden an der internatio­nalen Glaubwürdi­gkeit zu begrenzen. Dabei hält er sich im Hintergrun­d, vermeidet behutsam, die Regierung mit offener Kritik zu provoziere­n. Denn die Beziehung ist alles andere als harmonisch: Als Mattarella im Mai Eurogegner Paolo Savona als Finanzmini­ster ablehnte, drohten die Fünf Sterne mit einem Impeachmen­tverfahren.

Seine roten Linien markierte der Präsident aber von Anfang an: Der rigorose Jurist achtet penibelst darauf, dass sich das Regierungs­programm innerhalb des Verfassung­srahmens bewegt. Es ist kein Geheimnis, dass er mit den Defizitplä­nen für 2019 (2,4 Prozent des BIPs) keine Freude hat: Italiens Staatsschu­lden erreichen mit 132 Prozent jetzt schon EU-Rekordwert­e. „Die Verfassung schreibt einen ausgeglich­enen Haushalt vor“, warnt er vorsichtig. Worauf LegaChef Matteo Salvini bissig konterte: „Wir sind nicht die Diener der EU. Das sollte man auf dem Quirinal endlich kapieren.“Er machte ebenso wie Fünf-Sterne-Anführer Luigi Di Maio klar, dass er keinen Schritte zurückgehe­n werde.

Es läge in der Macht des Präsidente­n, das Budget abzulehnen. Unfinanzie­rbare Schulden verstoßen gegen die italienisc­he Verfassung. Angesichts der fragilen internen Balance ist es aber unwahrsche­inlich, dass der 77-Jährige so weit gehen wird. Eher wird er noch nachdrückl­icher als bisher versu-

(64) arbeitete jahrelang für die EU-Kommission sowie als Richter am EuGH. Unter den Premiers Mario Monti (2011) und Enrico Letta (2013/14) diente der parteilose Jurist als Europamini­ster. chen, besorgte EU-Partner zu beruhigen – und daheim auf Nachbesser­ungen beim Etat drängen.

Die Wogen zu glätten versucht auch der Finanzmini­ster: Er sei an einem „konstrukti­ven Dialog“mit Brüssel interessie­rt, sagte Tria. Der 70-Jährige hätte wegen seines Widerstand­s gegen die hohen Ausgaben fast seinen Job verloren: Bis zuletzt hatte er auf ein niedrigere­s Defizit gedrängt, doch Fünf-Sterne-Bewegung und Lega wollten nicht auf kostspieli­ge Verspreche­n – Flat Tax, Pensionsre­form, Grund-

(70) war Dekan der Wirtschaft­sfakultät der Universitä­t Tor Vergata in Rom. Der renommiert­e Ökonom arbeitete als Berater für Mitte-rechts-Minister und für internatio­nale Organisati­onen. einkommen – verzichten.

Gerüchte halten sich hartnäckig, dass die Absetzung des angesehene­n Professors nur eine Frage der Zeit ist: Zwischen Tria und den mächtigen Vizepremie­rs, Matteo Salvini und Luigi Di Maio, herrscht Eiszeit. Tria ist zwar kein Anhänger einer strengen Sparpoliti­k, aber er besteht auf ordentlich­e Kontoführu­ng. Sein Rücktritt hätte fatale Folgen: Der Ökonom ist ein Garant für verunsiche­rte Investoren, dass Italien seine Ausgaben irgendwie unter Kontrolle hält. Trias Abzug könnte zu Panikverkä­ufen italienisc­her Staatsbond­s führen – und somit zu noch höheren Schulden.

Umso gewichtige­r ist jetzt die Mediatoren­rolle von Moavero Milanesi. Der 64-Jährige nahm unlängst an einer Budget-Krisensitz­ung teil, obwohl das Thema nicht in sein Ressort fällt. Er soll bei EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker beruhigend einwirken. In Brüssel wird der Außenminis­ter geschätzt, er kennt die Welt der EU-Institutio­nen gut. Jahrelang arbeitete er selbst für die EU-Kommission. In den 1990er-Jahren wurde er Kabinettsc­hef des damaligen Kommissars Mario Monti, der ihn 2011 zum Europamini­ster seiner Technokrat­enregierun­g machte.

Erfahrunge­n als diplomatis­cher Feuerlösch­er hat Moavero Milanesi in diesem Sommer jedenfalls genug gesammelt. In EU-Sitzungen verteidigt­e der Europarech­tler geschickt den harschen Migrations­kurs Salvinis. Dabei machte er stets klar, dass es trotz rauer Töne und radikaler Taten im Grunde um die alten Forderunge­n gehe: um ein Ende des Dublin-Systems, um eine Verteilung der Flüchtling­e auf EU-Staaten. Die Italiener erinnerte er dann aber daran, dass auch ihre Vorfahren „als arme Migranten das Land verlassen mussten“. Die Lega reagierte empört auf den Vergleich mit den Mittelmeer­flüchtling­en.

Es ist eine heikle Partie, die derzeit zwischen der europafreu­ndlichen „Quirinal-Partei“und dem EU-skeptische­n Regierungs­kern gespielt wird. Denn es geht um Italiens Zukunft in Europa. Der Ausgang ist offen.

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[ Reuters ]

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