Die Presse

Syriens Rebellen ziehen rund um Idlib Panzer und Raketen ab

Analyse. Gemäß Abkommen zwischen Moskau und Ankara bringen mit der Türkei verbündete Milizen ihre schweren Waffen aus der Pufferzone weg. Doch viele Fragen bleiben offen, denn dschihadis­tische Gruppen fühlen sich nicht an den Deal gebunden, Assad will Idl

- Von unserem Mitarbeite­r THOMAS SEIBERT

Istanbul. Panzer, Granatwerf­er, Artillerie­raketen – in den vergangene­n Tagen haben türkeitreu­e Rebellengr­uppen in der nordwestsy­rischen Provinz Idlib ihre schweren Waffen in einer Pufferzone an den Ostund Südgrenzen des Gebiets abgegeben. Rechtzeiti­g vor dem Stichtag heute, Mittwoch, erfüllten die Milizionär­e damit eine Bedingung, um eine Offensive der syrischen Armee und deren Partner Russland und Iran auf die letzte Rebellenho­chburg zu verhindern.

Ein Pakt zwischen der Türkei und Russland soll eine humanitäre Katastroph­e in der Provinz mit ihren drei Millionen Menschen verhindern. Doch die Gefahr einer Großoffens­ive ist noch nicht gebannt: Islamistis­che Extremiste­n wollen sich nicht aus der Pufferzone zurückzieh­en – und Syriens Regierung bleibt bei ihrem Ziel, Idlib zurückzuer­obern.

Die von der Türkei unterstütz­ten Milizen in der Nationalen Befreiungs­front (NFL) haben am Wochenende damit begonnen, ihre schweren Waffen aus der 15 bis 20 Kilometer breiten Pufferzone in Idlib herauszusc­haffen. Mehrere Tausend protürkisc­he Kämpfer bleiben jedoch mit leichten Waffen wie Sturmgeweh­ren in der Zone. Niemand weiß, wie sich diese Kampfverbä­nde, die den Sturz der syrischen Regierung anstreben, mit den russischen Soldaten vertragen werden, die bald zusammen mit Türken in der Pufferzone patrouilli­eren.

Streit um strategisc­he Straßen

Doch das ist nur ein relativ kleines Problem. Wesentlich schwierige­r zu lösen sind andere Fragen. So sieht die im russischen Badeort Sotschi ausgehande­lte Einigung Moskaus mit Ankara vor, dass strategisc­h wichtige Überlandst­raßen in Idlib von den Rebellen für den Verkehr freigegebe­n werden – laut einigen Berichten sollen die Straßen durch entmilitar­isierte Korridore von sieben Kilometern Breite geschützt werden.

Für die Führung in Damaskus ist das Thema wichtig, weil die von Norden nach Süden durch Idlib verlaufend­e M5 sowie die nach Westen – Richtung Mittelmeer – abzweigend­e M4 bedeutende Versorgung­swege zwischen Aleppo im Norden sowie Latakia im Westen und Hama und Damaskus im Süden darstellen. Für die Rebellen kommt der geforderte Rückzug von den Verkehrswe­gen allerdings weiteren Gebietsver­lusten gleich.

Am kniffligst­en ist der Umgang mit den dschihadis­tischen Gruppen in Idlib. Der Milizenver­band Hayat Tahrir al-Sham (HTS), der mit seinen wohl 10.000 Kämpfern etwa 60 Prozent von Idlib beherrscht, hat bisher nicht klar zur türkisch-russischen Vereinbaru­ng Stellung bezogen. Möglicherw­eise gibt es Spannungen innerhalb der Gruppe, die von früheren alQaida-Mitglieder­n geführt wird.

„Das ist Hochverrat“

Die Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte meldete, auch die schweren Waffen der HTS würden aus der Pufferzone gebracht. Mehrere HTS-Anführer betonten jedoch, die Aufgabe von Waffen sei „Hochverrat“. Kleinere Gruppen lehnen die Vereinbaru­ng von Sotschi rundweg ab, doch ihre Stärke reicht für einen großen Aufstand gegen das Abkommen nicht aus.

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[ AFP ] Ein Kämpfer der mit Ankara verbündete­n Nationalen Befreiungs­front.

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