Zentrale Lage oder mehr Raum?
Viele Arbeitskräfte und gute Bildungseinrichtungen sprechen für den Erhalt und Neubau städtischer Produktionsstätten. Mehr Verkehr und weniger Kapazitäten dagegen.
Die Verkehrsanbindung, die zentrale Lage sowie die hohe Qualität der Mitarbeiter, die am Standort tätig sind, machen ihn für uns attraktiv.“Das sagt Birgit Rechberger-Krammer über das Henkel-Werk im dritten Wiener Gemeindebezirk. Von einer Verlagerung dieser städtisch gelegenen Waschmittelfabrik ist der Konsumgüterriese weit entfernt. „Das ist für uns überhaupt kein Thema“, betont die gebürtige Wienerin, die seit einem Jahr Präsidentin von Henkel Österreich ist.
Rechberger-Krammer ist mit ihrem Vertrauen in eine traditionsreiche Produktionsstätte nicht allein. In Wien gibt es laut Industriellenvereinigung 200 größere, industriell produzierende Firmen mit insgesamt über 80.000 Beschäftigten. Diese beiden Zahlen sprechen für sich. Sie stehen für die Botschaft, dass es ohne viele qualifizierte Arbeitskräfte einfach nicht geht. Finden Beschäftigte jedoch auch zu Produktionsstätten auf der grünen Wiese, fallen Standortentscheidungen anders aus. Verkehrsprobleme in der Stadt und viel Platz auf dem Land in Verbindung mit guter Erreichbarkeit haben Einfluss auf die derzeitige Industrielandschaft Österreichs.
Schlumberger etwa blickt nach Müllendorf im Burgenland. Der Sekt- und Spirituosenhersteller ist gerade dabei, die gesamte Produktion nach fast 170 Jahren von Wien Heiligenstadt in die Gemeinde nahe der niederösterreichischen Grenze zu verlagern. Produktionskapazitäten sowie die Verkehrssituation nannte der Vorstand als entscheidende Gründe. Der Mittelpunkt für die auf 70 Millionen Euro bezifferten Investitionen und bis zu 60 angestrebten Mitarbeiter liegt damit nun rund 50 km außerhalb vom Zentrum Wiens. Für die bisherigen Beschäftigten aus der Hauptstadt ist ein Shuttlebus geplant.
Ähnliche Spagate wie die Entwicklung zwischen Wien und Müllendorf sind auch in anderen Regionen zu beobachten. „In Oberösterreich gibt es sowohl einen zentralen Trend als auch einen Trend in die ländlichen Regionen“, stellt Rudolf Winter-Ebmer von der Johannes-Kepler-Universität Linz (JKU) fest. Der Vorstand des Instituts für Volkswirtschaftslehre, das sich auch speziell mit Industrieökonomie befasst, nennt als Ursache für einen Trend in Richtung Linz die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal. „Gründe für Verlagerung nach außen sind insbesondere die Verkehrssituation“, sagt Winter-Ebmer zur Gegenbewegung. Es gebe daher vermehrt Industrieansiedlung im erweiterten Umfeld von Linz, aber auch im Innviertel an der Grenze zu Bayern. Oberösterreich ist für die Branche nicht nur wegen Linz, Wels oder Steyr interessant. Vielmehr wird die Region von Unternehmen als sehr zusammenhängend wahrgenommen – und nicht als Flickenteppich weniger Agglomerationen. Der Standort Oberösterreich biete einige Vorteile, ist sich etwa auch Peter Mitterbauer, Vorstandsvorsitzender der dort beheimateten Technologiegruppe Miba bewusst. Der Industriezulieferer mit rund 890 Millionen Euro Jahresumsatz hat weltweit 27 Standorte, einige davon in dem Bundesland außerhalb dicht besiedelter Gebiete. Für den Vorstandsvorsitzenden sind die gut ausgebildeten und sehr engagierten Mitarbeiter ein Pluspunkt für Oberöster- reich. „Zudem ist die Lage unserer Werke nahe an der Westautobahn ein großer Vorteil, wir sind für unsere Mitarbeiter einfach erreichbar“, sagt Mitterbauer. „Dass wir nicht im urbanen Ballungsraum zu Hause sind, ist daher kein Nachteil für uns.“
Dennoch räumt der Miba-Vorstand ein, dass es an allen Standorten schwierig sei, Fachkräfte zu finden. Das Unternehmen wachse stark und benötige in Österreich in den kommenden drei Jahren rund 400 zusätzliche Mitarbeiter. Linz ist dabei gut aufgestellt: Insbesondere HTL und Universität sprechen laut Winter-Ebmer für den Stadtstandort. CEO Mitterbauer erwähnt auch den Campus der FH Oberösterreich im kleineren Hagenberg.
Henkel dürfte diesbezüglich gelassen sein: Die Waschmittelproduktionsstätte, mitten in der Metropole Wien gelegen, ist sich vieler ausgebildeter Menschen in nächster Nähe sicher. „Eine Herausforderung ist für uns allerdings, dass unmittelbar um unser Werk aktuell viele neue Wohnbauprojekte realisiert wurden und werden“, sagt Präsidentin Rechberger-Krammer. Dass die Stadtvorteile jedoch überwiegen, verrät eine Zahl: Henkel investiert jährlich im Schnitt rund zehn Millionen Euro in die Modernisierung der Gebäude und Anlagen.
Auch abseits rein wirtschaftlicher Überlegungen kann die unmittelbare Nachbarschaft von Industrie und kulturellem Stadtleben bereichern, wie etwa eine aktuelle Kooperation von Henkel mit dem Figurentheater Lilarum zeigt.