Betroffen, aber nicht notwendig gefährdet
Die Auswirkungen von Industrie 4.0 auf die Jobs in der Industrie sind ein kontrovers diskutiertes Thema. Konsens scheint zu sein, dass sich viele Tätigkeiten und damit die Anforderungsprofile ändern werden.
Ist die Digitalisierung Arbeitsplatzvernichter oder Jobmotor? In kaum einem anderen Wirtschaftssektor wird diese Frage so heiß diskutiert wie in der Industrie, in der die intelligente Vernetzung von Maschinen und Abläufen vielerorts bereits weit fortgeschritten ist. Während die einen befürchten, dass der Mensch in der „digitalen Fabrik“überflüssig sein wird, erwarten die anderen die Schaffung einer Vielzahl von Arbeitsplätzen. Fest steht, die Industrie 4.0 bringt große Veränderung der Produktionsund Arbeitsprozesse und Arbeitsprofile.
„Keiner kann in die Zukunft blicken und genau sagen, wie sich die Digitalisierung beziehungsweise Automatisierung auf die Beschäftigungszahlen in der Industrie auswirken wird“, sagt Thomas Felberbauer vom Department für Medien und Digitale Technologien der FH St. Pölten. Sehr wohl könne man aber sagen, dass in der Vergangenheit infolge von technischen Fortschritten immer neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Auf der anderen Seite wären immer auch einige verschwunden. Bislang habe sich jedenfalls gezeigt, dass sich durch die Digitalisierung und Automatisierung bestimmte Tätigkeiten verschoben haben.
„Grundsätzlich haben technische Innovationen in der Industrie seit Hunderten von Jahren zu Produktivitätssteigerungen und zum Abbau von Arbeitsplätzen geführt“, sagt Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria. Für ihn besteht kein Zweifel daran, dass in der industriellen Fertigung sehr viele Arbeitsplätze von der Digitalisierung betroffen sind. Daraus abzuleiten, dass sie auch gefährdet sind, wäre zu einfach“, meint er. Nachsatz: „Man darf nicht vergessen, dass in der Industrie 4.0 viele Arbeitskräfte in oft neuen Bereichen eingesetzt werden können.“Mit den Auswirkungen der Industrie 4.0 auf die Qualifikationsanforderungen hat sich eine Studie der FH St. Pölten beschäftigt. Dafür wurden insgesamt 40 kleine, mittlere und große Unternehmen – unter anderem Andritz, AT&S, ABB, Fronius, Bosch, Voestalpine und Wienerberger – befragt. Eine zentrale Erkenntnis: Mit der Industrie 4.0 gehen Veränderungen für alle Arbeitsprofile einher, und zwar nicht nur bei Tätigkeiten, bei denen direkt mit Maschinen gearbeitet wird. Eine weitere: Die Nachfrage nach bestimmten Qualifikationen und ITKompetenzen steigt, wie etwa IT-Sicherheit, Mechatronik und Umgang mit digitalen Technologien. Darüber hinaus seien auch Skills wie Prozess- und Projektmanagement, Interdisziplinarität, Kommunikation und Teamfähigkeit zunehmend gefragt. Der Studie zufolge werden in der Industrie 4.0 künf- tig manuelle Tätigkeiten stark zurückgehen, insgesamt wären sowohl Spezialisten als auch Generalisten gefragt. Hier spielt die Unternehmensgröße eine Rolle: Während mittelständische Firmen ein breites Anforderungsprofil priorisieren, stehen bei Großbetrieben eher spezielle Kompetenzen im Fokus. „Egal, auf welcher Unternehmensebene man in der Industrie tätig ist, heute werden überall ITKenntnisse benötigt“, sagt Felberbauer. Facharbeiter, die in der Produktion direkt mit Industrie-4.0-Technologien wie digitalen Assistenzsystemen arbeiten, müssten zwar keine ITExperten sein, aber über ein gewisses Maß an Grundkenntnissen, die heute in der Lehrlingsausbildung vermittelt würden, verfügen. Ein höheres Maß an speziellem IT- Know-how werde in der indirekt produktionsbezogenen Ebene benötigt, sprich in den Bereichen Anlagenbau, Engineering sowie Prozessoptimierung/Qualitätsmanagement. „IT-Systeme helfen, dort schnellere und bessere Entscheidungen zu treffen und auf den aktuellen Status der Produktion einzugehen“, so der Experte. Am wenigsten würden sich hingegen die Kompetenzen auf der Führungsebene verschieben. Das Führen von Menschen sowie die Kommunikation würden zentrale Managementaspekte bleiben. Auch eine Expertengruppe der Plattform Industrie 4.0 Österreich kommt zu dem Schluss, dass der Anteil an körperlicher Arbeit in den stark digitalisierten Fertigungsstraßen zurückgehen wird. Prozessverständ- nis, Kreativität und Teamarbeit seien hingegen gefragt, um den Produktionsprozess zu optimieren. Darüber hinaus seien überfachliche Kompetenzen wie Problemlösungsfähigkeit oder interkulturelle Fähigkeiten wichtig. Der Hintergrund: Mit der Digitalisierung geht verstärkt dezentrales Arbeiten einher. Viele Tätigkeiten würden in abteilungsübergreifenden Teams verrichtet, was dezentrale Entscheidungen, auch auf niedrigeren Hierarchieebenen, bedingt.
„Qualifikation ist der Universalschlüssel für die Arbeitswelt der Zukunft. Wer über die passenden Fähigkeiten und Kompetenzen verfügt, dem stehen viele Möglichkeiten offen“, sagt Roland Sommer, Geschäftsführer der Plattform Industrie 4.0 Österreich. In die gleiche Kerbe schlägt Felberbauer: „In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Investitionen in Ausbildung nie ein Fehler waren.“Je besser die Ausbildung, desto größer die Chancen in der Arbeitswelt von morgen.