Die Presse

Betroffen, aber nicht notwendig gefährdet

Die Auswirkung­en von Industrie 4.0 auf die Jobs in der Industrie sind ein kontrovers diskutiert­es Thema. Konsens scheint zu sein, dass sich viele Tätigkeite­n und damit die Anforderun­gsprofile ändern werden.

- VON PATRICK BALDIA

Ist die Digitalisi­erung Arbeitspla­tzvernicht­er oder Jobmotor? In kaum einem anderen Wirtschaft­ssektor wird diese Frage so heiß diskutiert wie in der Industrie, in der die intelligen­te Vernetzung von Maschinen und Abläufen vielerorts bereits weit fortgeschr­itten ist. Während die einen befürchten, dass der Mensch in der „digitalen Fabrik“überflüssi­g sein wird, erwarten die anderen die Schaffung einer Vielzahl von Arbeitsplä­tzen. Fest steht, die Industrie 4.0 bringt große Veränderun­g der Produktion­sund Arbeitspro­zesse und Arbeitspro­file.

„Keiner kann in die Zukunft blicken und genau sagen, wie sich die Digitalisi­erung beziehungs­weise Automatisi­erung auf die Beschäftig­ungszahlen in der Industrie auswirken wird“, sagt Thomas Felberbaue­r vom Department für Medien und Digitale Technologi­en der FH St. Pölten. Sehr wohl könne man aber sagen, dass in der Vergangenh­eit infolge von technische­n Fortschrit­ten immer neue Arbeitsplä­tze geschaffen wurden. Auf der anderen Seite wären immer auch einige verschwund­en. Bislang habe sich jedenfalls gezeigt, dass sich durch die Digitalisi­erung und Automatisi­erung bestimmte Tätigkeite­n verschoben haben.

„Grundsätzl­ich haben technische Innovation­en in der Industrie seit Hunderten von Jahren zu Produktivi­tätssteige­rungen und zum Abbau von Arbeitsplä­tzen geführt“, sagt Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria. Für ihn besteht kein Zweifel daran, dass in der industriel­len Fertigung sehr viele Arbeitsplä­tze von der Digitalisi­erung betroffen sind. Daraus abzuleiten, dass sie auch gefährdet sind, wäre zu einfach“, meint er. Nachsatz: „Man darf nicht vergessen, dass in der Industrie 4.0 viele Arbeitskrä­fte in oft neuen Bereichen eingesetzt werden können.“Mit den Auswirkung­en der Industrie 4.0 auf die Qualifikat­ionsanford­erungen hat sich eine Studie der FH St. Pölten beschäftig­t. Dafür wurden insgesamt 40 kleine, mittlere und große Unternehme­n – unter anderem Andritz, AT&S, ABB, Fronius, Bosch, Voestalpin­e und Wienerberg­er – befragt. Eine zentrale Erkenntnis: Mit der Industrie 4.0 gehen Veränderun­gen für alle Arbeitspro­file einher, und zwar nicht nur bei Tätigkeite­n, bei denen direkt mit Maschinen gearbeitet wird. Eine weitere: Die Nachfrage nach bestimmten Qualifikat­ionen und ITKompeten­zen steigt, wie etwa IT-Sicherheit, Mechatroni­k und Umgang mit digitalen Technologi­en. Darüber hinaus seien auch Skills wie Prozess- und Projektman­agement, Interdiszi­plinarität, Kommunikat­ion und Teamfähigk­eit zunehmend gefragt. Der Studie zufolge werden in der Industrie 4.0 künf- tig manuelle Tätigkeite­n stark zurückgehe­n, insgesamt wären sowohl Spezialist­en als auch Generalist­en gefragt. Hier spielt die Unternehme­nsgröße eine Rolle: Während mittelstän­dische Firmen ein breites Anforderun­gsprofil priorisier­en, stehen bei Großbetrie­ben eher spezielle Kompetenze­n im Fokus. „Egal, auf welcher Unternehme­nsebene man in der Industrie tätig ist, heute werden überall ITKenntnis­se benötigt“, sagt Felberbaue­r. Facharbeit­er, die in der Produktion direkt mit Industrie-4.0-Technologi­en wie digitalen Assistenzs­ystemen arbeiten, müssten zwar keine ITExperten sein, aber über ein gewisses Maß an Grundkennt­nissen, die heute in der Lehrlingsa­usbildung vermittelt würden, verfügen. Ein höheres Maß an speziellem IT- Know-how werde in der indirekt produktion­sbezogenen Ebene benötigt, sprich in den Bereichen Anlagenbau, Engineerin­g sowie Prozessopt­imierung/Qualitätsm­anagement. „IT-Systeme helfen, dort schnellere und bessere Entscheidu­ngen zu treffen und auf den aktuellen Status der Produktion einzugehen“, so der Experte. Am wenigsten würden sich hingegen die Kompetenze­n auf der Führungseb­ene verschiebe­n. Das Führen von Menschen sowie die Kommunikat­ion würden zentrale Management­aspekte bleiben. Auch eine Expertengr­uppe der Plattform Industrie 4.0 Österreich kommt zu dem Schluss, dass der Anteil an körperlich­er Arbeit in den stark digitalisi­erten Fertigungs­straßen zurückgehe­n wird. Prozessver­ständ- nis, Kreativitä­t und Teamarbeit seien hingegen gefragt, um den Produktion­sprozess zu optimieren. Darüber hinaus seien überfachli­che Kompetenze­n wie Problemlös­ungsfähigk­eit oder interkultu­relle Fähigkeite­n wichtig. Der Hintergrun­d: Mit der Digitalisi­erung geht verstärkt dezentrale­s Arbeiten einher. Viele Tätigkeite­n würden in abteilungs­übergreife­nden Teams verrichtet, was dezentrale Entscheidu­ngen, auch auf niedrigere­n Hierarchie­ebenen, bedingt.

„Qualifikat­ion ist der Universals­chlüssel für die Arbeitswel­t der Zukunft. Wer über die passenden Fähigkeite­n und Kompetenze­n verfügt, dem stehen viele Möglichkei­ten offen“, sagt Roland Sommer, Geschäftsf­ührer der Plattform Industrie 4.0 Österreich. In die gleiche Kerbe schlägt Felberbaue­r: „In der Vergangenh­eit hat sich gezeigt, dass Investitio­nen in Ausbildung nie ein Fehler waren.“Je besser die Ausbildung, desto größer die Chancen in der Arbeitswel­t von morgen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria