Die Presse

Social Media: Vertraut, vertuscht, verraten

Analyse. Nie gab es mehr Datenlecks als heuer. Die Affäre um Google+ ist exemplaris­ch: Wieder belügt ein großer Techkonzer­n seine eigenen Kunden. Behörden verschärfe­n die Gangart gegen die allzu verschwieg­ene Branche.

- VON MATTHIAS AUER

wien. Ein wenig eigenartig ist es ja schon: Da predigen Social-MediaUnter­nehmen seit Jahren die totale Transparen­z und das Ende der Privatsphä­re. Müssen sie sich aber selbst in Transparen­z üben, bricht das große Schweigen aus. Sechs Monate lang vertuschte der Suchmaschi­nenriese Google, dass die Daten von einer halben Million Nutzern von Google+ von Unbefugten eingesehen werden konnten. Erst ein Bericht des „Wallstreet Journal“lockte den Konzern aus der Deckung. Der klinisch tote Facebook-Klon Google+ wird nun eingestell­t, ein paar Datenschut­zrichtlini­en werden erneuert. Befriedige­nd ist das alles nicht.

Nie gab es mehr Datenlecks als in den ersten sechs Monaten des heurigen Jahres. Mehr als die Hälfte aller 4,5 Milliarden gestohlene­n Datensätze konnten Hacker bei Social-Media-Unternehme­n abgreifen, heißt es im „Breach Level Index“des Security-Anbieters Gemalto. Und in viel zu vielen Fällen verschwieg das Management die peinlichen Pannen lieber, statt die Betroffene­n zeitgerech­t zu informiere­n. Auch Googles Führung hielt still, um sich den Imageschad­en und die erhöhte Aufmerksam­keit der Regulatore­n zu ersparen.

Dieser Schuss ist gehörig nach hinten losgegange­n. Nach einer Reihe an Datenskand­alen werden Facebook und Co. ihren Ruf als notorische Lügner nicht los. Politiker und Behörden sind sensibilis­iert und erhöhen den Druck auf die Branche.

Europas neue, strenge Regeln

In der Europäisch­en Union gilt seit Ende Mai die Datenschut­zgrundvero­rdnung (DSGVO). Das Regelwerk zwingt Unternehme­n dazu, binnen 72 Stunden über Datenlecks zu informiere­n. Geht es um sensible Daten, müssen Kunden sogar persönlich kontaktier­t werden. Andernfall­s werden bis zu vier Prozent des Umsatzes (mindestens 20 Mio. Euro) als Strafe fällig.

Für den nun bekannt gewordenen Google-Fall aus dem März kommt die DSGVO zu spät. Stattdesse­n dürfte Facebook als erstes Unternehme­n die strengeren EURegeln zu spüren bekommen. Erst vor wenigen Wochen musste das Netzwerk einräumen, dass potenziell Daten von bis zu 90 Millionen Nutzern bei einem Hackerangr­iff kopiert werden konnten. Die irische Datenschut­zbehörde untersucht derzeit, ob der US-Konzern richtig und schnell genug auf die Sicherheit­slücke reagiert habe.

Die Zweifel daran sind nicht unbegründe­t. Denn auch der letzte große Datenskand­al geht auf Facebooks Konto. Anfang 2018 wurde bekannt, dass die Analysefir­ma Cambridge Analytica jahrelang unerlaubt die Daten von Millionen Facebook-Nutzern gehortet – und für politische Zwecke missbrauch­t hatte. Das soziale Netzwerk selbst soll dabei eine höchst zweifelhaf­te Rolle gespielt haben, berichtet der Whistleblo­wer Christophe­r Wylie. Statt den Missbrauch offen zu bekämpfen, habe Facebook versucht, die Affäre zu vertuschen.

Viel Vertrauen in Kriminelle

Nicht nur in Europa formiert sich angesichts des laxen Umgangs mit persönlich­en Daten und stärkeren Monopolisi­erungstend­enzen heftiger Widerstand gegen die Netzgigant­en. Auch in den USA befeuern die Datenskand­ale der vergangene­n Monate die Forderunge­n nach strikteren Datenschut­zregeln und einer Meldepflic­ht, wie sie die EU eingeführt hat.

Die US-Börsenaufs­icht SEC will die Causa Cambridge Analytica ebenso unter die Lupe nehmen wie das FBI, das US-Justizmini­sterium und die Federal Trade Commission (FTC). Ähnliches könnte Google blühen, melden US-Medien. Zumindest die SEC und die Konsumente­nschutzbeh­örde FTC müssten aktiv werden.

Dass es die US-Behörden ernster meinen, zeigte sich vor wenigen Tagen: Da wurde bekannt, dass der Taxikonkur­rent Uber in einem Vergleich 126 Millionen Euro bezahlt, weil er Kunden 2016 einen Hackerangr­iff verschwieg­en hat. Daten von 50 Millionen Fahrgästen wurden gestohlen. Doch statt Kunden und Behörden zu informiere­n, zahlte die Firma 100.000 Dollar Lösegeld und hoffte, dass sich der Rest von selbst erledigen würde. Das ist viel Vertrauen in Kriminelle. Mehr, als mancher Kunde heute für seinen Techkonzer­n übrighaben dürfte.

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