Die Presse

Medea in der Garage

Oper. Die Berliner Staatsoper Unter den Linden eröffnete ihren Premierenr­eigen mit einer unterschie­dlich gelungenen Produktion von Cherubinis dreiaktige­r „Med´ee“.´

- VON WALTER DOBNER

Ein Drama in einer abgehauste­n Tiefgarage zwischen Kisten? So präsentier­t sich die Szenerie der neuen Berliner „Medea“. Einfach ist das Sujet nicht zu bebildern, will man es so vielschich­tig assoziativ darstellen, wie es sich Andrea Breth und ihr Bühnenbild­ner Martin Zehetgrube­r offensicht­lich vorgenomme­n haben. Dass man mit dieser Bühnenarch­itektur ein Zollfreila­ger imaginiere­n will, in dem Millionenw­erte von Kunst steuerspar­end gebunkert werden, um so daran zu erinnern, dass es sich beim „Goldenen Vlies“, mit dem diese Medea-Geschichte ihren Anfang genommen hat, auch um Raubkunst handelt, erschließt sich beim bloßen Hinsehen nicht. Dafür bedarf es schon eines Blicks in das Programmhe­ft.

Wäre es nicht besser gewesen, sich statt solcher Überlegung­en eindrückli­cher mit den Figuren auseinande­rzusetzen? Das beginnt schon bei der Titelfigur: Med´ee´ bloß als Leidende darzustell­en, wie es hier geschieht, wird ihrer Vielschich­tigkeit nicht gerecht. Noch dazu zeigt sie eine Unschlüssi­gkeit, die selbst ihr finales Handeln nur wenig glaubwürdi­g macht. Dabei steht mit der phasenweis­e lautstark agierenden, in den Höhen unterschie­dlich strahlende­n Sonya Yoncheva eine geeignete Darsteller­in zur Verfügung.

Hat es mit dieser mehr von Ökonomie denn von Mythos zeugenden Szenerie zu tun, dass man den von Ian Peterson blass gezeichnet­en Creon´ weniger als respektein­flößende Herrscherp­ersönlichk­eit wahrnimmt denn als egomanisch-kalkuliere­nden Geschäftsm­ann, der nur äußerlich Interesse an Familiärem mimt? Auch vom unterschie­dlichen vokalen Glanz verströmen­den Charles Castronovo als Jason, dem man selbst am Ende schmerzlic­hes Empfinden nicht abnehmen will, hätte man sich mehr Eigenprofi­l erwartet. Oder sollte er, zumal in dieser spezifisch­en Atmosphäre, bloß als Karrierist ohne Anflug von wirklichem Gefühl agieren?

Wenigstens Marina Prodeskaja als auch gesanglich in jeder Hinsicht untadelige Neris´ scheut sich nicht, das Schicksal ihrer Herrin Med´ee´ tief empfunden zu beklagen. Engagiert bewältigt Elsa Dreisig ihre Aufgabe als Dirce,´ ohne die Schwierigk­eiten ihrer großen Arien ganz vergessen zu machen. Auch ihr hätte die Regie mehr Bühnenpräs­enz zugestehen können.

Das hätte die von Andrea Breth und dem Produktion­sdramaturg­en Sergio Morabito hergestell­te neue Fassung dieses Cherubini auch hergegeben. Nicht nur, dass damit die Oper musikalisc­h gestrafft wurde, man ging auch auf ihr ursprüngli­ches Konzept zurück: verwendete nicht die später von Franz Lachner dazukompon­ierten Rezitative, sondern setzte wie die originale Fassung auf das Spannungsv­erhältnis von gesungenem und gesprochen­em Wort. Schade, dass die Protagonis­ten unterschie­dliche Affinität für die französisc­he Sprache zeigten. Damit ging auch diese Idee nur teilweise auf.

Cherubini hat seine „Med´ee“´ nicht für die Pariser Oper, sondern das The´atreˆ Feydeau geschriebe­n. Das erklärt die stilistisc­he Zwitterste­llung dieses gleicherma­ßen Elemente der tragedie´ lyrique wie der opera´ comique aufgreifen­den Werks. Darüber hinaus finden sich darin Einflüsse der Neapolitan­ischen Schule wie der Wiener Klassik.

Daniel Barenboim an der Spitze seiner ihm blendend folgenden, mit vielen brillanten Soli aufwartend­en Staatskape­lle Berlin hob in seiner Interpreta­tion vor allem die klassizist­ischen Züge des Werks hervor – ohne dabei die dramatisch­en Ausbrüche der Musik in den Hintergrun­d zu drängen. An seiner differenzi­erten Dynamik hätten sich so manche Darsteller­innen und Darsteller ein Vorbild nehmen können. Mehr Wortdeutli­chkeit wiederum hätte man sich von den Damen und Herren des Staatsoper­nchors gewünscht.

Wie man in Salzburg mit dem „Melodienre­ichtum dieser herrlichen Partitur“, wie es in einem Bericht aus Cherubinis Zeiten heißt, umgehen wird? Vor allem, wie man dort dieses Geschehen darstellen und kommentier­en wird? Das wird der kommende Festspiels­ommer beantworte­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria