Medea in der Garage
Oper. Die Berliner Staatsoper Unter den Linden eröffnete ihren Premierenreigen mit einer unterschiedlich gelungenen Produktion von Cherubinis dreiaktiger „Med´ee“.´
Ein Drama in einer abgehausten Tiefgarage zwischen Kisten? So präsentiert sich die Szenerie der neuen Berliner „Medea“. Einfach ist das Sujet nicht zu bebildern, will man es so vielschichtig assoziativ darstellen, wie es sich Andrea Breth und ihr Bühnenbildner Martin Zehetgruber offensichtlich vorgenommen haben. Dass man mit dieser Bühnenarchitektur ein Zollfreilager imaginieren will, in dem Millionenwerte von Kunst steuersparend gebunkert werden, um so daran zu erinnern, dass es sich beim „Goldenen Vlies“, mit dem diese Medea-Geschichte ihren Anfang genommen hat, auch um Raubkunst handelt, erschließt sich beim bloßen Hinsehen nicht. Dafür bedarf es schon eines Blicks in das Programmheft.
Wäre es nicht besser gewesen, sich statt solcher Überlegungen eindrücklicher mit den Figuren auseinanderzusetzen? Das beginnt schon bei der Titelfigur: Med´ee´ bloß als Leidende darzustellen, wie es hier geschieht, wird ihrer Vielschichtigkeit nicht gerecht. Noch dazu zeigt sie eine Unschlüssigkeit, die selbst ihr finales Handeln nur wenig glaubwürdig macht. Dabei steht mit der phasenweise lautstark agierenden, in den Höhen unterschiedlich strahlenden Sonya Yoncheva eine geeignete Darstellerin zur Verfügung.
Hat es mit dieser mehr von Ökonomie denn von Mythos zeugenden Szenerie zu tun, dass man den von Ian Peterson blass gezeichneten Creon´ weniger als respekteinflößende Herrscherpersönlichkeit wahrnimmt denn als egomanisch-kalkulierenden Geschäftsmann, der nur äußerlich Interesse an Familiärem mimt? Auch vom unterschiedlichen vokalen Glanz verströmenden Charles Castronovo als Jason, dem man selbst am Ende schmerzliches Empfinden nicht abnehmen will, hätte man sich mehr Eigenprofil erwartet. Oder sollte er, zumal in dieser spezifischen Atmosphäre, bloß als Karrierist ohne Anflug von wirklichem Gefühl agieren?
Wenigstens Marina Prodeskaja als auch gesanglich in jeder Hinsicht untadelige Neris´ scheut sich nicht, das Schicksal ihrer Herrin Med´ee´ tief empfunden zu beklagen. Engagiert bewältigt Elsa Dreisig ihre Aufgabe als Dirce,´ ohne die Schwierigkeiten ihrer großen Arien ganz vergessen zu machen. Auch ihr hätte die Regie mehr Bühnenpräsenz zugestehen können.
Das hätte die von Andrea Breth und dem Produktionsdramaturgen Sergio Morabito hergestellte neue Fassung dieses Cherubini auch hergegeben. Nicht nur, dass damit die Oper musikalisch gestrafft wurde, man ging auch auf ihr ursprüngliches Konzept zurück: verwendete nicht die später von Franz Lachner dazukomponierten Rezitative, sondern setzte wie die originale Fassung auf das Spannungsverhältnis von gesungenem und gesprochenem Wort. Schade, dass die Protagonisten unterschiedliche Affinität für die französische Sprache zeigten. Damit ging auch diese Idee nur teilweise auf.
Cherubini hat seine „Med´ee“´ nicht für die Pariser Oper, sondern das The´atreˆ Feydeau geschrieben. Das erklärt die stilistische Zwitterstellung dieses gleichermaßen Elemente der tragedie´ lyrique wie der opera´ comique aufgreifenden Werks. Darüber hinaus finden sich darin Einflüsse der Neapolitanischen Schule wie der Wiener Klassik.
Daniel Barenboim an der Spitze seiner ihm blendend folgenden, mit vielen brillanten Soli aufwartenden Staatskapelle Berlin hob in seiner Interpretation vor allem die klassizistischen Züge des Werks hervor – ohne dabei die dramatischen Ausbrüche der Musik in den Hintergrund zu drängen. An seiner differenzierten Dynamik hätten sich so manche Darstellerinnen und Darsteller ein Vorbild nehmen können. Mehr Wortdeutlichkeit wiederum hätte man sich von den Damen und Herren des Staatsopernchors gewünscht.
Wie man in Salzburg mit dem „Melodienreichtum dieser herrlichen Partitur“, wie es in einem Bericht aus Cherubinis Zeiten heißt, umgehen wird? Vor allem, wie man dort dieses Geschehen darstellen und kommentieren wird? Das wird der kommende Festspielsommer beantworten.