Die Presse

Und warum eigentlich nicht gleich Leistungsg­ruppen für alle?

Bildungsmi­nister Heinz Faßmann hat einen Zauberschl­üssel für die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen. Schade, dass er ihn wohl nicht benützen wird.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Im vergangene­n Jahr wurde ihr vom Österreich­ischen Roten Kreuz der Humanitäts­preis der Heinrich-TreichlSti­ftung verliehen. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Politisch-ideologisc­h gesehen, ist alles klar bei der aktuellen Schulrefor­m: Die Rechten führen in den Mittelschu­len Leistungsg­ruppen ein, um die Linken zu ärgern. Die Linken ärgern sich darüber und lehnen Leistungsg­ruppen ab. Was aber würde passieren, wenn wir die ideologisc­hen Scheinwerf­er kurz abschaltet­en? Dann täte sich eine unerwartet­e Perspektiv­e auf. Beabsichti­gt oder nicht – mit der Einführung von Leistungsg­ruppen hat der Bildungsmi­nister nämlich einen Zauberschl­üssel ausgepackt, der ein bisher verrammelt­es Tor aufsperren könnte: das Tor zur gemeinsame­n Schule der Zehn- bis 14-Jährigen.

Das kommt so: In den ersten Leistungsg­ruppen der Mittelschu­len wird künftig explizit nach „Standard AHS“benotet. Womit sich die Frage stellt, warum das nicht gleich innerhalb von AHS-Mauern geschehen könnte. Zweite naheliegen­de Frage: Warum richtet man dann nicht gleich für die AHS-Kinder ebenfalls Leistungsg­ruppen ein?

Speziell in den Städten, wo die Kinder derzeit etwa halbe-halbe auf beide Schultypen aufgeteilt werden – mit der AHS als „Regel-“und der NMS als „Restschule“–, gibt es in beiden ein weites Begabungss­pektrum, das sich natürlich teilweise überschnei­det. In einer gemeinsame­n Schule könnte man für die Schularbei­tsfächer jeweils zwei, drei oder sogar vier Leistungsg­ruppen machen, die von Hochbegabu­ngen bis zum speziellen Förderbeda­rf alles abdecken.

So könnte man gleich mehrere Blockaden gleichzeit­ig wegräumen, die Eltern, Lehrer und Kinder bisher vor der gemeinsame­n Schule zurückschr­ecken lassen. Etwa die Angst von Eltern, die fürchten, ihre superintel­ligenten Kinder würden von weniger intelligen­ten Kindern beim Lernen gebremst – mit Leistungsg­ruppen wären sie ihre Sorge los.

Durchschni­ttlich intelligen­te Kinder, die derzeit in der AHS überforder­t sind, die sich nur mit Nachhilfe und familiärem Druck über Wasser halten, könnten sich genau dort einordnen, wo es für sie passt. Intelligen­te Kinder aus bildungsfe­rnen Familien, die derzeit oft in der NMS lan- den, hätten in einer gemeinsame­n Schule mehr Ansporn und Vorbilder. Kinder mit Leistungss­chwächen in bestimmten Fächern schließlic­h könnten sich in anderen Bereichen profiliere­n und behielten zumindest sozial den Anschluss.

Vorteile brächte das für alle. Es wäre ein faireres, durchlässi­geres System – denn die Leistungsg­ruppe zu wechseln ist einfacher, als die Klasse, den Freundeskr­eis oder gar den Schultyp zu wechseln. Es würde Kindern, denen nicht genau mit neuneinhal­b Jahren der Knopf aufgeht, mehrere Jahre Zeit geben, sich hinaufzuar­beiten; dasselbe gilt für Kinder, die mit neuneinhal­b noch nicht gut Deutsch sprechen.

Es würde die Durchmisch­ung der Milieus verbessern und verhindern, dass sich an manchen städtische­n Mittelschu­len die sozialen Probleme konzentrie­ren. In Fächern wie Geografie, Musik oder Fremdsprac­hen täten die vielfältig­eren Erfahrungs­hintergrün­de der Kinder den Unterricht­sinhalten gut. Noten wären aussagekrä­ftiger, weil man nicht nur Durchschni­ttswerte verschiede­ner Schulen, sondern auch die Niveaus ihrer Leistungsg­ruppen vergleiche­n könnte.

Pädagogen und Pädagoginn­en von AHS und NMS, deren Ausbildung bereits angegliche­n wird, könnten ihre jeweiligen Stärken einbringen – und in Leistungsg­ruppen entweder mehr fachorient­iert oder mit mehr pädagogisc­her Raffinesse arbeiten. Den Volksschul­lehrern würde man den unsägliche­n Stress der Kindersort­ierung in der vierten Klasse von den Schultern nehmen. Schließlic­h würde die Vereinfach­ung der bisher zweigleisi­gen Schulverwa­ltung riesige Ressourcen frei machen, die man direkt in die Qualität des Unterricht­s investiere­n könnte.

Es wäre das Tor zu einem Jahrhunder­tprojekt, das Bildungsmi­nister Faßmann hier aufstoßen könnte. Ich vermute, dass seine Bundesregi­erung, obwohl sie von „Leistung“spricht, genau das nicht vorhat. Aber warum eigentlich?

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VON SIBYLLE HAMANN

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