Die Presse

Giftaffäre: Zweiter Russe identifizi­ert

Russland. Die Recherchep­lattform Bellingcat will die Identität des zweiten Salisbury-Verdächtig­en enthüllt haben. Diese und andere Enttarnung­en bringen Militärgeh­eimdienst GRU in die Bredouille.

- [ Reuters]

London. Britische Ermittler haben Medienberi­chten zufolge den zweiten Verdächtig­en im Fall des vergiftete­n russischen Ex-Spions Sergej Skripal identifizi­ert. Dabei handle es sich um einen 39-jährigen Militärarz­t des Geheimdien­stes GRU. Auf die Spur kamen ihm die Medien über seinen gefälschte­n Pass; der russische Geheimdien­st hatte laienhaft „vergessen“, zahlreiche andere Spuren zu verwischen. Beide mutmaßlich­en Täter wurden vom russischen Präsidente­n Wladimir Putin mit hohen Orden ausgezeich­net.

Moskau. Wenn die Rechercheu­re von Bellingcat recht behalten, dann ist der russische Militärgeh­eimdienst GRU (seltener auch GU genannt) ziemlich düpiert: Die Aufdecker, deren Plattform in Großbritan­nien gegründet wurde, haben die Identität des zweiten Mannes enthüllt, der verdächtig­t wird, den russischen Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter Julia im März 2018 vergiftet zu haben.

Nach der Enttarnung von Ruslan Boschirow, der in Wirklichke­it Anatolij Tschepiga heißen soll, wurden nun belastende Details bekannt über seinen Mitreisend­en, der ebenfalls auf Bildern von Überwachun­gskameras zu sehen ist. Auch britische Behörden gehen davon aus, dass die Identitäte­n der Männer gefälscht sind, haben sich jedoch noch nicht zu der Untersuchu­ng der Gruppe geäußert.

Alexander Petrow heißt demnach Alexander Mischkin, ist 39 Jahre alt und als Arzt im Dienst des GRU tätig. Wie Bellingcat in einem ausführlic­hen Bericht am Dienstag darlegte, kam man durch öffentlich verfügbare Quellen, Bildvergle­iche und die Befragung von Bekannten auf die Spur des Phantoms.

Angeworben im Studium

Mischkin wurde, so schreiben die Rechercheu­re in ihrem am Dienstag veröffentl­ichten Detailberi­cht, 1979 im Dorf Lojga im nördlichen Gebiet Archangels­k geboren. Vermutlich während seines Studiums an einer Medizinhoc­hschule des Militärs wurde er vom GRU angeworben und in Folge mit einer neuen Identität ausgestatt­et: Alexander Petrow.

Seinen offizielle­n Wohnsitz unter dem Namen Petrow hatte er bis September 2014 an der Moskauer Adresse des Militärgeh­eimdienste­s an der Choroschew­skojeChaus­see. Als Agent soll er mehrere Reisen im Auftrag des vor allem im Ausland operierend­en Geheimdien­stes unternomme­n haben. Etwa in das abtrünnige moldauisch­e Gebiet Transnistr­ien oder im Dezember 2013 in die Ukraine während der Maidan-Protestbew­egung.

Beide Männer sind auf Videoaufna­hmen zu sehen, die die britische Polizei Anfang September veröffentl­icht hatte. Wenig später gaben Mischkin und Tschepiga im Interview mit dem staatliche­n Fernsehkan­al Russia Today an, als Touristen nach Salisbury gereist zu sein. Der Auftritt wirkte nicht sehr überzeugen­d. Die Reiseschil­derung der beiden warf mehr Fragen auf, als sie Antworten gab.

Der Kreml wollte gestern keine Stellung zu den Veröffentl­ichungen nehmen. Man warte noch immer auf offizielle Informatio­nen der britischen Seite, erklärte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow.

Allerdings dürfte sich im Hauptquart­ier des Dienstes mittlerwei­le Krisenstim­mung breitmache­n. Russische Medien berichtete­n von einem Krisenstab im GRUHauptqu­artier, „Aquarium“genannt, am Wochenende. Auch Ablösungsg­erüchte von GRU-Chef Igor Korobow machen die Runde.

Der GRU ist ohne Unterbrech­ungen seit der Russischen Revolution tätig. Er untersteht dem Verteidigu­ngsministe­r und dem Generalsta­b und ist einer von drei Geheimdien­sten im Land. Der GRU versteht sich vorrangig auf Cyber-Kriegsführ­ung und Undercover-Einsätze. Ihm wird nachgesagt, seine Kader in mehreren Konflikthe­rden einzusetze­n – etwa in der Ostukraine oder in Syrien.

Missionen missglückt­en

Doch zuletzt musste man peinliche Veröffentl­ichungen hinnehmen. Nicht nur die Mission gegen den früheren GRU-Mitarbeite­r Skripal, den Präsident Wladimir Putin in der Vorwoche vor Publikum als „Dreckskerl“bezeichnet­e, ging offenbar schief.

Zuletzt machten neben den USA auch die Niederland­e einen „illegalen“Agentenein­satz im Frühling öffentlich. Damals wollten zwei russische Hacker und zwei Begleiter einen Angriff auf die Chemiewaff­en-Verbots-Organisati­on OPCW in Den Haag durchführe­n. Sie wurden geschnappt und außer Landes verwiesen. In Moskau reagierte man unterdesse­n mit kreativer Gegenrede: Die Russen seien auf einem „Routinetri­p“gewesen, sagte anderntags Außenminis­ter Sergej Lawrow.

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[ Reuters ] Polizeispe­rre in jener Straße in Amesbury nahe Salisbury, wo im Juli eine Frau starb, nachdem sie mit Resten des Giftes Novichok in Berührung gekommen war, das beim Anschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal in Salisbury benützt worden war.

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