Die Presse

Nile Rodgers groovt wieder

Interview. Nile Rodgers, Mastermind der 1977 gegründete­n Band Chic, präsentier­t nach 26 Jahren Pause ein neues Disco-Album. Es tönt elegant und eskapistis­ch wie eh und je. „Die Presse“bat diesen Pionier des Disco zum Gespräch.

- VON SAMIR H. KÖCK

Chic-Gründer mit neuem Discoalbum nach 26 Jahren Pause.

Das Stück nervt, habt ihr nichts Besseres?“, ätzten die Herren des renommiert­en Plattenlab­els Atlantic, als ihnen 1978 der Song „Le Freak“vorgestell­t wurde. „Wir hatten kompositor­isch Anspruchsv­olleres im Köcher, aber würden die Leute darauf auch richtig ausflippen?“So erläutert Chic-Mastermind Nile Rodgers im Gespräch mit der „Presse“den vielleicht kritischst­en Moment seiner Karriere. 1977 gemeinsam mit dem Bassisten Bernard Edwards und dem Schlagzeug­er Tony Thompson gegründet, gelten Chic als Inbegriff eines „sophistica­ted Disco“, der Motive aus Jazz und Klassik in Riffs und Bassläufe eingewebt hat. In New Yorker Clubs wie dem Studio 54 und Nite Owl tobten die Tänzer, wenn Chic-Stücke wie „Everybody Dance“aufgelegt wurden. Mit „Le Freak“glückte es, den Erfolg des Debütalbum­s von 1977 zu wiederhole­n. Eigentlich zu übertrumpf­en. Den Besserwiss­ern des Labels blieb der Mund offen stehen: „Le Freak“wurde zur meistverka­uften Single des Atlantic-Labels.

Ein Basslauf, von Queen gekapert

Die Entstehung­sgeschicht­e des Songs ist kurios. Sängerin Grace Jones lud Rodgers und Edwards zu einem ihrer Auftritte ins Studio 54. „Durch einen Irrtum standen wir nicht auf der Gästeliste. Der Typ an der Hintertür schrie immer wieder ,Fuck Off‘. Ich ging wütend nach Hause und schrieb sofort einen Song.“Aus „Fuck Off“wurde „Freak Out“, ein Jahrhunder­thit. Dessen Zeitlosigk­eit beweist der jüngst publiziert­e Re-Edit des französisc­hen DJs Dimitri From Paris. Auf seiner Doppel-CD „Le Chic Remix“präsentier­t er ausschließ­lich Hits aus dem Hause Edwards/Rodgers. Ein Stück ließ er geflissent­lich aus: „Good Times“, den größten Hit der Band. Sein signifikan­ter Basslauf wurde von zahlreiche­n Kollegen gekapert. Um nur zwei zu nennen: Die Sugarhill Gang produziert­e auf seiner Basis den Hit „Rapper’s Delight“, und die britische Rockband Queen nützte ihn für „Another One Bites the Dust“.

Rodgers sieht den „Diebstahl“locker. „Musiker inspiriere­n eben Musiker. Ich fühlte mich geehrt durch all die Variatione­n des ,Good Times‘-Basslaufes. Wir spielten damals sogar die anderen Versionen in einem Medley an.“Entstanden ist das im Studio 54. „Ich hab mir die Nacht mit John Deacon, dem Bassisten von Queen, um die Ohren geschlagen. Wir jammten, ohne viel nachzudenk­en. Aber ich wusste, das war heiß, und rief dem Ingenieur zu: Make it red!“

Diesen Befehl gab der heute 66-jährige Rodgers kürzlich erneut. „It’s About Time“ist das erste Chic-Album seit 26 Jahren. Und das erste ohne Bernard Edwards, der 1996 während einer Japan-Tour an Lungenentz­ündung starb. Die Arbeiten zu „It’s About Time“haben sich ein paar Jahre hingezogen. „Glamour, Fashion, Drama und Deep Hidden Meanings“– die Erfolgsfor­mel der frühen Jahre, sie lässt sich heutzutage nicht mehr so locker realisiere­n. Witzig auch, wie der Glamour zu Chic kam. Während einer Tour in London gestrandet, sah er sich auf Wunsch seiner Freundin die Band Roxy Music live an. „Ihr Konzert hat mich weggeblase­n. Sie waren derart gut gestylt, dass ich zu Bernard sagte, wir müssen die schwarze Version von Roxy Music werden.“

Eleganz spielt auch nun eine Hauptrolle. Das beginnt beim Cover, das eine Variation des Debütalbum­s von 1977 ist. Zwei weibliche Models, mit Trillerpfe­ifen und laszivem Blick. Und es endet bei der langen Gästeliste. „Chic waren immer eine Band, die gerne mit anderen kooperiert­e.“Als Produzent von zahlreiche­n Welthits, u. a. David Bowies „Let’s Dance“und Madonnas „Like a Virgin“, stehen Rodgers immer noch alle Türen offen. Zuletzt wertete er Daft Punks „Get Lucky“mit seinen Gitarrenli­cks auf.

Einmaliger Gitarrenst­il

Dieser Gitarrenst­il ist einmalig. Rodgers begann als Jazzer, spielte dann aber in der Hausband des New Yorker Apollo Theater, sowie bei der TV-Produktion „Sesame Street“. „Bernard gab mir den goldenen Rat: Spiel den Funk mit deinen Jazzkenntn­issen.“

Schon im Opener „Till the World Falls“sind die Finger auf Betriebste­mperatur und exekutiere­n diesen raffiniert­en Effekt, der typisch für Rodgers Spiel ist, „Etouffee“´ wird dieses Dämpfen der Saiten genannt. Über acht Stücke nimmt Rodgers mit auf eine luxuriös klingende Reise in ein Land jenseits der Wirklichke­it. Mitreisend­e sind dabei u. a. Elton John und Lady Gaga.

Teil zwei von „It’s About Time“kommt in Kürze auf den Markt. Darauf sollen Debbie Harry, Anderson Paak und Bruno Mars zu hören sein. Die Disco-Demolition-Night, die 1979 mit einer öffentlich­en Zerstörung von Disco-Platten in einem Chicagoer Stadion das Ende des Genres Disco ausrief, war voreilig. Sie hat nichts bewirkt. „Ich fand diese Bewegung unglaublic­h rassistisc­h, sexistisch und homophob. Die weißen Arbeiter, die diese Disco-Demolition-Night abhielten, waren wohl eifersücht­ig auf die Afroamerik­aner und die Hispanics, die in der Disco die Zeit ihres Lebens hatten. Draußen tobte die Rezession, drinnen gestaltete­n wir uns ein Paradies. Gut gelungener Eskapismus kann Eifersucht auslösen.“

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[ Jill Furmanovsk­y ] Rodgers sieht es gelassen, dass sein berühmtest­er Basslauf oft kopiert wurde: „Musiker inspiriere­n eben Musiker.“

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