Wenn Enkel ins Reich ziehen
Kino. Filmemacherin Kat Rohrer erzählt in ihrer neuen Doku von jungen Israelis, die nach Wien oder Berlin wollen. Und plant selbst „endlich“einen Spielfilm.
Es gibt statt eines Flyers sogar einen eigenen kleinen Pass: „Back to the Fatherland“steht darauf, und dass das Vaterland in Frakturschrift geschrieben ist, ist natürlich kein Zufall, sondern steht für vieles, was man in Israel immer noch mit Österreich und Deutschland verbindet.
Es gebe, sagt Regisseurin Kat Rohrer, „verständliche Vorurteile, auch in den Köpfen der Jungen“. Vor allem Schlagzeilen über Antisemitismus und Übergriffe würden Israel erreichen – „so wie wir von Israel nur die schrecklichen Dinge aus den Nachrichten im Kopf haben“. Auch sie, als sie 2013 das erste Mal das Land bereiste. Mit der Israelin Gil Levanon hatte sie sich beim Filmstudium in New York angefreundet; irgendwann nahm sie samt Mutter („Presse“-Kolumnistin Anneliese Rohrer), Tante und Freundin Proschat Madani deren Einladung an.
Seither war sie 20-mal im Land, auch 2014 während des Kriegs, von dem die Israelis nur als „Military Operation“sprechen. Als bizarr und schizophren beschreibt sie das Erlebnis, als während eines Recherche-Meetings in Tel Aviv die Sirenen losgingen und sie plötzlich allein dasaß, weil die anderen schon in den Bunker gestürzt waren. Als sie dann mit Israelis zum ersten Mal beim Dreh in Salzburg war, hatte sie wiederum vergessen, diese vor der Mittagssirene zu warnen.
Die angespannte Lage in Israel, aber auch Dinge wie die hohen Le- bensmittelpreise tragen dazu bei, dass immer mehr junge Israelis „das Mutterschiff“verlassen und, oft auch auf der Suche nach Wurzeln, in die Herkunftsländer ihrer Familien ziehen. Nicht immer zum Verständnis der Großeltern, die dem Holocaust gerade noch entkommen sind.
Diesem Spannungsfeld samt der oft engen Beziehung zwischen Großeltern und Enkeln spüren Rohrer und Levanon nun in ihrer Doku „Back to the Fatherland“behutsam nach. Es sei bewusst „kein Holocaust-Film“, sagt Rohrer, „sondern einer für die dritte Generation“. Es sei spannend gewesen zu sehen, wie groß das Bedürfnis ist, darüber zu sprechen. Zu oft stehe die Vergangenheit noch wie ein stiller „Elefant im Raum“.
Rohrer selbst hat sich mit ihrem Großvater, der illegaler Nazi war, ebenso beschäftigt wie mit ihrer Großtante, die, jüdisch verheiratet, nach Australi-
studierte an der School of Visual Arts in New York und arbeitete zunächst vor allem als Kamerafrau. Mit ihrer 2002 gegründeten Firma GreenKat Productions realisierte sie Kurzfilme, Musikvideos und gewerbliche Aufträge. In der Doku „Fatal Promises“widmete sie sich dem Thema Menschenhandel. Für „Back to the Fatherland“gibt es morgen, Samstag, eine „Presse“-Premiere mit den Filmemacherinnen im Metrokino, AußenpolitikChef Christian Ultsch moderiert. en fliehen musste. Seit Jahren hilft sie außerdem als eine Art Nebenjob einer jüdischen US-Familie bei der Recherche ihrer europäischen Familiengeschichte; auch daraus soll einmal ein Film werden.
„Back to the Fatherland“kommt nach einer einjährigen Festivaltour nun in Österreich, Deutschland und Amerika ins Kino. Ihre Begeisterung für die Branche hatte Rohrer schon als Kind entwickelt. Ihre Tante Hanne Rohrer ist Schauspielerin, hat in ihrer Kindheit oft auf sie aufgepasst. „Eine Zeit lang habe ich gedacht, vielleicht werde ich Schauspielerin.“Dann habe sie gemerkt, dass das nicht das Wahre sei. „Ich gebe lieber Anweisungen.“
In ihrer ersten Doku, „Fatal Promises“, schildert sie Facetten von Menschenhandel. „Ein Fehler, den jeder junge Filmemacher macht“, meint sie rückblickend. „Man ist heraus aus der Filmschule, sehnt sich nach seinem ersten Langfilm und stürzt sich hinein.“Aus jener Zeit stammt die Zusammenarbeit mit ihrer Mutter, die auch diesmal als Autorin fungierte. „Ich habe sie einfach gefragt: ,Wie wär’s, das gemeinsam zu machen?‘“
Irgendwie, sagt Rohrer, sei ihr all das passiert. Dabei will sie seit Langem einen Spielfilm machen, „eine Dramedy über ein junges Mädchen“. Pläne für eine neue Doku mit der Mutter gibt es auch, das sei aber „eher ihr Projekt“. Und nach 18 Jahren in Amerika überlegt sie, nach Berlin zu ziehen. Amerikas Zukunft sieht sie pessimistisch. „Selbst New York hat sich sehr verändert, das hätte ich nicht gedacht.“