Die Presse

EU-Angriff auf die letzten Kaufleute

Handel. In Brüssel wartet ein pikantes Gesetz auf den Beschluss: Eigentlich soll es unfairen Handel unterbinde­n. Eine kurzfristi­ge Änderung könnte aber die Existenz Tausender Kaufleute bedrohen.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Österreich­s Supermärkt­e wiegten sich in Sicherheit, nachdem sich Landwirtsc­haftsminis­terin Elisabeth Köstinger (ÖVP) zu Wochenbegi­nn klar auf ihre Seite geschlagen hatte. Es ging um das EU-Gesetzesvo­rhaben gegen unfaire Deals im Lebensmitt­elhandel. Köstinger machte als Ratsvorsit­zende klar: Große Lebensmitt­elkonzerne wie Coca-Cola oder Nestle´ müssten nicht vor den Supermarkt­ketten geschützt werden. Die Richtlinie soll rein die Bauern schützen.

Die Ketten freuten sich über den Dämpfer für die Lebensmitt­ellobby. Bis im Lauf der Woche durchgesic­kert ist, was die Richtlinie noch an Sprengstof­f enthält. Denn in letzter Sekunde haben vier deutsche EU-Parlamenta­rier wesentlich­e Punkte hineinrekl­amiert.

Nun steht – vereinfach­t gesprochen – im Entwurf: Kleine Händler dürfen ihre Ware nicht mehr gemeinsam einkaufen. Das ist Usus bei allen verblieben­en Kaufleuten, ob sie zu Adeg, Nah&Frisch oder zu den letzten Einzelkämp­fern unter dem Dach der Spar-Gruppe zählen. Nur so bekommen sie wettbewerb­sfähige Preise. Nach dem derzeitige­n Plan müsste jeder einzeln zum Hersteller gehen – also zu Größen wie Nestle.´

„Das sticht die Kleinen ab“, sagt Handelsver­band-Chef Rainer Will. Was wiederum die Nahversorg­ung auf dem Land erschwere, die Landflucht beschleuni­ge – und zu einer noch stärkeren Marktkonze­ntration führe. Hier sei in Erinnerung gerufen: Rewe (Billa, Merkur, Adeg), Spar und Hofer teilen sich bereits 84 Prozent des Lebensmitt­elhandels. Nach Wills Schätzung sind 1000 kleine Händler und 15.000 Arbeitsplä­tze in Österreich in Gefahr, sollte die Richtlinie so durchgehen.

In Deutschlan­d schäumen die Lebensmitt­elhändler noch mehr. Dort sind viel mehr Supermärkt­e genossensc­haftlich organisier­t. Die Richtlinie kommt einer Kampfansag­e an die vielen kleinen Edekaund Rewe-Kaufleute gleich. Die deutschen EU-Parlamenta­rier, die den Stein ins Rollen gebracht haben, rudern nach heftiger Kritik zurück: Sie hätten nicht den deutschen Mittelstan­d zerschlage­n, sondern nur übernation­ale Einkaufsko­operatione­n treffen wollen.

Alles nur eine unglücklic­he Formulieru­ng? Wie dem auch sei, in Österreich herrscht ebenso Unverständ­nis. „So wie es drinsteht, geht es gegen das Geschäftsm­odell von Spar“, sagt Sprecherin Nicole Berkmann im Gespräch mit der „Presse“. Bei Spar werden noch rund 760 der 1600 Filialen von selbststän­digen Kaufleuten betrieben. „Sie sind definitiv nicht wettbewerb­sfähig, wenn sie nicht gemeinsam einkaufen können“, sagt Berkmann. Ihr Chef, Gerhard Drexel, wurde am Donnerstag vor Journalist­en deutlicher: Der Änderungsa­ntrag habe „Stammtisch­niveau“.

Mehr regt Drexel aber die zweite Änderung auf, die in letzter Minute in den Entwurf geschriebe­n wurde: Supermarkt­ketten sollen bei Eigenmarke­n von ihren Produzente­n nur noch gesetzlich­e Mindeststa­ndards (also nicht strengere Vorgaben zu Bio, Tierwohl, Gentechnik oder Ähnlichem) verlangen dürfen.

Für Drexel sind die Eigenmarke­n sein größter Joker gegenüber der Industrie. Er nennt sie gern seinen „Unabhängig­keitsindex“. Jährlich schraubt er den Eigenmarke­nanteil um zehn Prozent in die Höhe. Mittlerwei­le machen Eigenmarke­n mit 2,6 Mrd. Euro fast die Hälfte des Umsatzes aus.

Umweltschü­tzer wie Greenpeace bangen zwar nicht wie er um ihre Verhandlun­gsposition, äußern aber ebenfalls Kritik: Die Organisati­on spricht von einem „Anschlag auf den Feinkostla­den Österreich“. Höhere Standards, wie in Österreich üblich, dürften nicht verhindert werden.

Beide sehen Köstinger am Zug. Die Zeit drängt, das EU-Parlament soll schon am 24. Oktober abstimmen. Hinter den Kulissen gibt es Verständni­s und Hilfsbekun­dungen von der Regierung. Aber die Händler wissen auch: Die Musik spielt in Brüssel. Wollen sie gehört werden, müssen sie dort laut sein.

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