Die Presse

Das Wahlsystem als Spiegel der Gesellscha­ft

Die österreich­ische Wahlpraxis ist gut, aber doch verbesseru­ngswürdig. Empfehlung­en internatio­naler Experten zu Transparen­z, Informatio­nsfreiheit und Wahlkampff­inanzierun­g wurden bisher nur marginal umgesetzt.

- VON ARMIN RABITSCH E-Mails an: debatte@diepresse.com

Verfassung­ssprecher, Vertreter der OSZE und der Bundeswahl­behörde sowie der Zivilgesel­lschaft diskutiert­en auf Initiative des Nationalra­tspräsiden­ten vor Kurzem Möglichkei­ten einer Wahlrechts­reform. Österreich­s Wahlpraxis ist gut, aber verbesseru­ngswürdig. Nationale und internatio­nale Wahlbeobac­hter haben Reformbeda­rfe im internatio­nalen Vergleich aufgezeigt und Empfehlung­en zur Verbesseru­ng der Wahlprozes­se formuliert. Nun sind die fünf im Parlament vertretene­n Parteien am Zug, um sich auf entspreche­nde Änderungen der Wahlgesetz­gebung zu einigen.

Das Wahljahr 2016 hat viele Fragen zur Durchführu­ng und möglichen Verbesseru­ng von Wahlprozes­sen aufgeworfe­n. Die im Zuge der Wahlanfech­tung abgehalten­en öffentlich­en Anhörungen vor dem Verfassung­sgerichtsh­of haben zahlreiche Unregelmäß­igkeiten offenbart.

Zudem ist die Integrität von Wahlprozes­sen weltweit durch illegale Interventi­onen in Wahlabläuf­en wieder Thema geworden, selbst in gefestigte­n Demokratie­n wie den USA oder Frankreich. Dort hat man 2017 die zuvor eingeführt­e Onlinewahl für Auslandsfr­anzosen mit dem Verweis auf das Risiko von Cyberattac­ken wieder abgeschaff­t. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg bezeichnet­e bei seiner diesjährig­en Aussage vor dem USKongress die Einflussna­hme auf Wahlprozes­se als die große digitale Gefahr der Gegenwart.

Wahlbeobac­htung hat an Bedeutung zugenommen und gilt nun internatio­nal als anerkannte­s Mittel zur Unterstütz­ung und Stärkung demokratis­cher Prozesse.

Die Organisati­on zur Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) mit Sitz in Wien unterstütz­t die Teilnehmer­staaten bei der Sicherung und Achtung der Grund- und Menschenre­chte sowie der Förderung der Prinzipien der Demokratie. Die OSZE entsendet seit 2002 Wahlbeobac­htungsmiss­ionen auch in etablierte Demokratie­n, wie zuletzt nach Schweden. Wahlbeobac­hter der OSZE werden auch wieder bei den US-Senats- und Kongresswa­hlen im November zugegen sein.

Die Wahlabteil­ung der OSZE hat bereits neunmal Missionen nach Österreich entsandt. In keinem anderen Land der OSZE-Teilnehmer­staaten westlich von Wien wurden so oft Wahlmissio­nen empfangen. In ihrem letzten Bericht hat die OSZE Schwerpunk­tempfehlun­gen zu Transparen­z, Informatio­nsfreiheit und Wahlkampff­inanzierun­g ausgesproc­hen. Von insgesamt 44 Empfehlung­en wurden bisher allerdings nur zwei vollständi­g umgesetzt und fünf weitere teilweise umgesetzt. 37 Empfehlung­en, davon 13, die wiederholt ausgesproc­hen wurden, harren der Umsetzung.

Österreich befindet sich im Demokratie-Ranking des Election Integrity Project der Universitä­ten Harvard und Sydney im internatio­nalen Spitzenfel­d, liegt in dieser Wertung jedoch hinter den skandinavi­schen Ländern, Deutschlan­d, den Niederland­en und der Schweiz; auch Länder wie Estland und Litauen haben Österreich bereits überholt. Österreich­s Status als Gastgeberl­and der OSZE sowie die jetzige EU-Ratspräsid­entschaft könnten Anlass sein, die Imple- mentierung der Empfehlung­en für Wahlprozes­sreformen von politische­r Seite voranzutre­iben. Dies könnte auch positive Signalwirk­ung für andere OSZE-Länder und EU-Beitrittsk­andidaten haben.

Mit der Aufwertung direktdemo­kratischer Instrument­e, größerer politische­r Teilhabe, vermehrter politische­r Bildung und einer Stärkung des Parlaments hat die Demokratie-Enquete 2014/2015 Reformbeda­rfe festgestel­lt. Einiges davon wurde bereits eingelöst, anderes harrt noch der Umsetzung, etwa das Plädoyer der Kommission zur Abschaffun­g der Amtsversch­wiegenheit und Schaffung eines Grundrecht­s auf Zugang zu Informatio­nen; Themen, die auch im jüngsten OSZE-Bericht aufgenomme­n wurden und als Reformempf­ehlungen Entsprechu­ng fanden.

Bei der Wahlreform­diskussion im Parlament wurde auch die Einführung eines Überkuvert­s für die Briefwahlk­arte noch vor der Europawahl 2019 behandelt. Nach den mangelhaft­en Wahlkarten­kuverts 2016 wurden die Wahlkarten­kuverts von 2009 ohne Lasche wiedereing­eführt, auf denen Vor- und Familienna­me, Geburtsjah­r und Unterschri­ft des Wählers wieder unverdeckt auf dem Wahlkarten­kuvert ersichtlic­h sind. Obwohl Postbedien­stete in Österreich an das Postgeheim­nis gebunden sind, könnte vor allem für Auslandsös­terreicher die Verwendung eines Wahlkarten­kuverts ohne verdeckte persönlich­e Angaben deren Datenschut­z verletzen.

Die steigende Nutzung der Briefwahl im In- und Ausland ebenso wie Unsicherhe­itsfaktore­n bei besonderen Wahlkommis­sionen (fliegenden Behörden) verlangen auch nach einer zusätzlich­en Vereinfach­ung der Wahl mit Wahlkarten

ist promoviert­er Politologe und arbeitet mit internatio­nalen Organisati­onen an der Verbesseru­ng von Wahlprozes­sen. Mit der unparteiis­chen Arbeitsgem­einschaft wahlbeobac­htung.org möchte er zusammen mit internatio­nalen Wahlexpert­en auch zur Verbesseru­ng der österreich­ischen Wahlabläuf­e beitragen. und besseren Sicherheit­smaßnahmen, etwa einer Unterschri­ftenkontro­lle. Das neue zentrale Wählerregi­ster würde kosteneffi­zientere und zeitoptimi­erte Abläufe ermögliche­n, die insbesonde­re für Auslandsös­terreicher wichtig sind. Per Strichcode auf dem Wahlkarten­kuvert könnte auch eruiert werden, ob aufgegeben­e Briefwahls­timmen rechtzeiti­g und unversehrt einlangen, auch seitens der Wähler etwa über eine Webseite des BMI.

Die Koalitions­parteien verständig­ten sich in der Regierungs­vereinbaru­ng auf einige Elemente der Wahlreform. Sie planen die „Weiterentw­icklung des Wahlrechts auf Basis des bestehende­n Verfassung­srechts in Richtung eines besseren Services für die Bürger sowie gleichzeit­ig Vermeidung von Manipulati­onsmöglich­keiten unter Berücksich­tigung der Vorgaben des Verfassung­sgerichtsh­ofes anlässlich der Aufhebung der Bundespräs­identenwah­l“.

Dies inkludiert eine Ausweitung der persönlich­en Stimmabgab­e bereits vor dem Wahltag durch die gesicherte Abgabe der Briefwahlk­arte in jedem Gemeindeam­t schon vor dem tatsächlic­hen Wahltag.

Das Wahlsystem sollte ein Spiegel der Gesellscha­ft sein. Es sollte sich wie diese auch verändern, um den Prinzipien der Verfassung und den darin verankerte­n Grundrecht­en sowie internatio­nalen Verpflicht­ungen zu entspreche­n. Die Vereinten Nationen, das Büro für Demokratis­che Institutio­nen und Menschenre­chte der OSZE, die Venedig Kommission des Europarats sowie der Europäisch­e Menschenre­chtsgerich­tshof geben bei Wahlreform­en die internatio­nalen Standards und gute Praktiken vor.

Die Bemühungen von wahlbeobac­htung.org zielen darauf ab, dass am Ende eines partizipat­iven Wahlreform­prozesses ein robustes, neues oder erneuertes Wahlrecht steht, das mit breiter Mehrheit im Parlament verabschie­det wird. Die durch den Nationalra­tspräsiden­ten initiierte Veranstalt­ung gab den Anstoß für wichtige Wahlrechts­reformen, von denen einige noch vor der Europawahl 2019 umgesetzt werden könnten.

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