Die Presse

Der Ersatznobe­lpreis beschert lange Abende im milden Oktober

Stockholms „Neue Akademie“ehrt die Autorin Maryse Cond´e.

- E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

Im vergangene­n Sommer noch fiel so manche(r) im Arbeitskre­is für höhere Dichtung bei uns im Gegengift in eine kurze Depression. Was tun an jenem Festtag im Oktober, da für gewöhnlich die Akademie in Stockholm den Nobelpreis für Literatur verkündet? Und in den Tagen danach? Im Vorjahr hatten wir uns lesend ausgetobt, die Lektüre reichte von „Damals in Nagasaki“bis zu all dem, „Was vom Tage übrig blieb“und noch viel weiter in der Prosa Kazuo Ishiguros aus England. In diesem Jahr aber sollte die Jury in Schweden versagen, aus peinlichen Gründen, die wir in Erdberg längst nobel verdrängt haben.

Ein fades Wochenende im subtropisc­hen Herbst wäre über uns gekommen, wenn nicht beherzte Dichterfre­unde eine schöne Alternativ­e gefunden hätten. Ihre „Neue Akademie“lobte einen Ersatzprei­s aus. Schwedisch­e Bibliothek­are schlugen 47 AutorInnen vor. Im Internet durfte weltweit ein bisschen mitgewählt werden. G ekürt wurde von einer exklusiven Jury Maryse Conde´ aus Guadeloupe. Sie ist 81 Jahre alt, weit gereist und weiß viel über die Schrecken des Kolonialis­mus zu erzählen. Die in Paris promoviert­e Vergleiche­nde Literaturw­issenschaf­tlerin setzte sich im Finale gegen Kim Thu´y aus Kanada und den Briten Neil Gaiman durch. Haruki Murakami, der ebenfalls nominiert war und seit Jahren als Japans Favorit für den „echten“Nobelpreis gilt, wollte am Ende doch nicht teilnehmen.

Am 9. 12. soll Conde´ in Stockholm ausgezeich­net werden. Bis dahin werden wir aus ihrem vielfältig­en, umfangreic­hen Werk hoffentlic­h zumindest den zweibändig­en Roman „Se-´ gou“gelesen haben, der vom Untergang eines Königreich­s am Niger handelt. „Segu. Mauern aus Lehm“und „Wie Spreu im Wind“lauten die Titel der Übersetzun­g. In einem gleicht der Ausnahmepr­eis vielen bisherigen Nobelpreis­en – im Überraschu­ngseffekt.

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