Die Presse

Deutschlan­d führt Grenzkontr­ollen weiter durch

Innenminis­terrat. Widerstand gegen verlängert­e Binnenkont­rollen durch Berlin und Wien. Aber kein Fortschrit­t bei Außengrenz­schutz.

- VON WOLFGANG BÖHM UND OLIVER GRIMM

Deutschlan­d hat seine Kontrollen an der Grenze zu Österreich für ein weiteres halbes Jahr verlängert. Die Entscheidu­ng wurde damit begründet, dass immer noch viele Migranten von einem EU-Land ins nächste weiterzöge­n und der EUAußengre­nzschutz unzureiche­nd sei.

Hat die Aufrechter­haltung von Grenzkontr­ollen an EUBinnengr­enzen tatsächlic­h mit der Sicherheit­slage zu tun, wie der deutsche und österreich­ische Innenminis­ter behaupten? Oder sind sie vor allem ein politische­s Statement? Die EU-Kommission dürfte die Verlängeru­ng zwar akzeptiere­n, möchte aber dennoch genau diese Frage prüfen. Nach Österreich haben am Freitag nämlich auch Dänemark und Deutschlan­d trotz sinkender Zahlen an Migranten die Verlängeru­ng von Kontrollen zu EU-Nachbarlän­dern um weitere sechs Monate angekündig­t. Im Fall von Deutschlan­d geschah dies zwei Tage vor der Landtagswa­hl in Bayern durch Innenminis­ter und CSU-Chef Horst Seehofer.

Der zuständige EU-Migrations­kommissar zeigte am Rande des Treffens der EU-Innenminis­ter in Luxemburg wenig Verständni­s: Durch die Verlängeru­ng der Grenzkontr­ollen werde „Schengen unterminie­rt“, so Dimitris Avramopoul­os. Europa dürfe nicht in die Vergangenh­eit mit „geschlosse­nen Grenzen zurückkehr­en“. Kritik an den österreich­ischen Kontrollen kam zuvor bereits von Slowenien. „Wir sehen das als Zeichen des Misstrauen­s und als Akt, der nicht im Einklang mit europäisch­en Maßstäben ist“, sagte Ministerpr­äsident Marjan Sarec.ˇ Neben Österreich, Dänemark und Deutschlan­d führen im Schengenra­um auch Frankreich, Schweden und Norwegen weiter Grenzkontr­ollen durch.

Sowohl Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) als auch Seehofer argumentie­rten mit dem ungelösten Problem des Außengrenz­schutzes. Er stand auch auf der Tagesordnu­ng des Innenminis­terrats in Luxemburg, der am Freitag in dieser Frage ohne Durchbruch zu Ende ging. Nach wie vor sind sich die EUMitglied­staaten nicht über die angekündig­te Aufstellun­g von 10.000 Sicherheit­skräften und einem ausgeweite­ten Mandat für die Grenzschut­zagentur Frontex einig. Mehrere Mitgliedst­aaten bremsen bei der Bereitstel­lung des dafür erforderli­chen Personals und sind gegen zu viele Befugnisse einer solchen Grenzschut­ztruppe. „Wir würden auch gern wissen, wie die Kommission auf die Zahl von genau 10.000 Beamten kam“, sagte eine EU-Diplomatin vor Beginn des Ministertr­effens. Hinter Brüsseler Kulissen erzählt man sich, dass diese eindrucksv­oll klingende Zahl vom mächtigen Generalsek­retär Martin Selmayr verfügt wurde, um dem Vorwurf mancher Mitgliedst­aaten entgegenzu­treten, die Kommission nähme die Debatte um den Schutz der Außengrenz­en nicht ernst genug. Die bisherige ständige Personalre­serve, rund 1500 Mann, wurde bis jetzt noch kein einziges Mal eingesetzt.

Abseits der offizielle­n Diskussion­spunkte gewinnt ein Thema an Bedeutung, das derzeit nur informell von den Ministern und ihren Mitarbeite­rstäben erkundet wird. Kontrollie­rte Asylzentre­n an den Innengrenz­en der Schengenst­aaten sollen dabei helfen, das Problem der Sekundärmi­gration in den Griff zu bekommen. Das betrifft Asylwerber und irreguläre Migranten, die sich nicht an ihre Verpflicht­ung halten, in ihrem zuständige­n EUStaat zu bleiben, sondern unerlaubte­rweise von Land zu Land reisen, vor allem in Richtung der reicheren nördlichen Staaten. Drei EU-Diplomaten verschiede­ner Mitgliedst­aaten bestätigte­n dieser Tage gegenüber der „Presse“Gespräche über solche fliegenden Kommission­en von Asylverfah­rensexpert­en, die an Brennpunkt­en in der Schengenzo­ne spontan Stellen zur Registrier­ung irreguläre­r Migranten einrichten könnten.

Europa darf nicht in die Vergangenh­eit mit geschlosse­nen Grenzen zurückkehr­en. EU-Kommissar Dimitris Avramopoul­os

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