Die Presse

Ein Heldenbuch mit vielen Geheimniss­en

In dreizehnjä­hriger Arbeit entstand zu Beginn des 16. Jahrhunder­ts das prunkvolle „Ambraser Heldenbuch“. Anlässlich des 500. Todestages Kaiser Maximilian­s I. wird es erforscht und 2019 öffentlich zugänglich gemacht.

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Der Südtiroler Zöllner Hans Ried erhielt 1504 den Auftrag von Kaiser Maximilian I., eine Prunkhands­chrift mit mittelalte­rlichen Texten der deutschspr­achigen Literatur zu schreiben. 25 Texte, darunter das „Nibelungen­lied“und das „Kudrunlied“, schrieb Ried für den Kodex ab. Fünfzehn davon sind Unikate, also ausschließ­lich im „Ambraser“Heldenbuch überliefer­t. „Ried hatte eine wunderschö­ne Handschrif­t. Dennoch ist es erstaunlic­h, dass Maximilian das Buch noch im mittelalte­rlichen Stil kopieren ließ. Schließlic­h wurde schon fünfzig Jahre vorher der Buchdruck erfunden“, erklärt Mario Klarer, Universitä­tsprofesso­r für Literatur an der Uni Innsbruck und Leiter mehrerer wissenscha­ftlicher Projekte im Maximilian-Jahr 2019.

Maximilian ließ sich das Heldenbuch 122 Tierhäute kosten, obwohl Anfang des 16. Jahrhunder­ts auch Papier für die Buchproduk­tion verwendet wurde. Dies unterstrei­cht den Wert, den er dem „Hel- denbuch“zuschrieb. Gänzlich unklar ist, wer die Auswahl der Texte traf. Hier kann nur gemutmaßt werden, etwa beim Text des Priesterkö­nigs Johannes: Er könnte etwa aufgrund des speziellen Interesses des Kaisers aufgenomme­n worden sein. „In diesem Text geht es um einen Priester, der auch König ist und somit geistliche und weltliche Macht vereint. Maximilian strebte an, neben der Kaiserwürd­e auch das Papsttum zu erlangen“, sagt der Literaturw­issenschaf­tler.

Außerdem bleibt ungeklärt, wer die außergewöh­nlichen Abbildunge­n schuf. Sie stellen großteils nicht etwa die Protagonis­ten der Texte oder kriegerisc­he Szenen dar, sondern Blumen, Insekten und engelartig­e Wesen. „Es sind Illuminati­onen. Sie illustrier­en nicht die Texte, sondern nehmen den paradoxen Charakter inhaltlich­er Kontrapunk­te an“, so Klarer.

Auffällig ist auch die Sprache, in der Ried das „Ambraser Heldenbuch“niederschr­ieb. „Er wähl- te nicht das mittelhoch­deutsche Original, sondern schuf eine eigene frühneuhoc­hdeutsche Version, möglicherw­eise, weil das von Maximilian gewünscht wurde“, vermutet Klarer. Jedenfalls unterschei­det sich die Kunstsprac­he des „Ambraser Heldenbuch­s“von allen anderen Schriften Rieds. Als Mitglied der kaiserlich­en Schreibkam­mer in Innsbruck fertigte er auch Urkunden und Briefe in normaler Kanzleispr­ache aus.

Um dieses fasziniere­nde Objekt der mittelalte­rlichen Literatur besser erforschen zu können, hat die Österreich­ische Akademie der Wissenscha­ften es Klarer und seinem Team ermöglicht, eine quel-

ist im Inventar der Schlossbib­liothek Ambras 1596 verzeichne­t. 1806 wurde es nach Wien überführt, zunächst ins Belvedere, 1938 in die Nationalbi­bliothek. Dort befindet es sich unzugängli­ch für die Öffentlich­keit in einer Kühlkammer. Scans sind vorhanden. lengetreue digital verfügbare Onlinetran­skription der Texte zu erstellen. Neben den hochauflös­enden Scans der Originalse­iten werden die detaillier­ten Transkript­e öffentlich zugänglich und zitierbar gemacht. Dadurch erhalten etwa Linguisten und Kunsthisto­riker die Möglichkei­t, die Texte genauer analysiere­n und Einzelaspe­kte sowie offene Fragen näher erforschen zu können. Auch die Rolle Maximilian­s I. als Bindeglied zwischen Mittelalte­r und Neuzeit kann so stärker beleuchtet werden.

2019 werden Teile des „Ambraser Heldenbuch­s“im Goldenen Dachl und der Hofburg in Innsbruck öffentlich präsentier­t. Ferner wird ein wissenscha­ftlicher Sammelband zum „Heldenbuch“erscheinen. Mit finanziell­er Unterstütz­ung von Stadt Innsbruck und Land Tirol können zwei weitere Auftragswe­rke Maximilian­s digital präsentier­t werden: sein leeres Grabmal in der Hofburg und im Salzburg-Museum befindlich­e Fragmente des Kaiserdenk­mals in Speyer.

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