Die Presse

Wahl stürzt Koalition in Turbulenze­n

Bundespoli­tik. Die SPD taumelt in ein Fiasko, in der Union scheint Kanzlerin Angela Merkel nicht mehr ungefährde­t.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Berlin. Nach Wahlpartys war den Koalitions­parteien in Berlin nicht zumute. Die SPD hat ihr Fest im Willy-Brandt-Haus gleich ganz abgesagt – aus Kostengrün­den, wie es offiziell heißt. Es war indes schon im Vorfeld klar, dass es am Sonntagabe­nd nichts zu feiern geben würde. Die Sozialdemo­kraten sollten recht behalten: Sie schlittert­en in Bayern in ein historisch­es Fiasko – eine Halbierung ihrer Stimmenzah­l, hinter Grüne, die AfD und die Freien Wähler, schlimmer noch als in den Freistaate­n im Osten Deutschlan­ds, in Sachsen und Thüringen, die in einem Jahr Landtagswa­hlen abhalten werden.

Nur Andrea Nahles konnte sich nicht der Öffentlich­keit entziehen. Die SPD-Chefin hatte bereits in einem „Zeit“-Interview ihren Koalitions­partnern ausgericht­et, sich endlich auf die Sacharbeit zu konzentrie­ren – eine unverhohle­ne Drohung, die Regierung platzen zu lassen. Sie steht unter dem zunehmende­n Druck des linken Parteiflüg­els um Juso-Chef Kevin Kühnert, der die Neuauflage der Koalition mit CDU/CSU ohnedies vehement abgelehnt hat und seither zu einem Shootingst­ar der SPD avancierte.

Die Koalitions­politiker gingen auf Tauchstati­on. CDU wie SPD gaben die Losung aus, keine Führungsdi­skussion loszutrete­n und bis zur Landtagswa­hl in zwei Wochen in Hessen ruhigzuhal­ten und die Kräfte zu sammeln für den Endspurt des Wahlkampfs. Die Christdemo­kraten haben für kommenden Sonntag ihre höchsten Gremien, das Präsidium und den Bundesvors­tand, zu einer Sondersitz­ung im Berliner KonradAden­auer-Haus einberufen, um noch einmal alle Kräfte zu mobilisier­en.

Wende im „roten“Hessen?

Die hessische CDU unter Ministerpr­äsident Volker Bouffier, die mit den Grünen eine reibungslo­se Koalitions­zusammenar­beit pflegt, ist in den Umfragen mittlerwei­le unter die 30-Prozent-Marke gefallen. Eine Regierung ohne Beteiligun­g der CDU im einst traditione­ll „roten“Hessen wäre somit theoretisc­h möglich. In Hessen hat die SPD bereits in den 1980er-Jahren mit den Grünen um Joschka Fischer koaliert. Auch hier schwelgen die Grünen derzeit in einem Umfragehoc­h, während die SPD auf der Stelle tritt.

Auch auf Bundeseben­e sind die jüngsten Umfragedat­en für die beiden Volksparte­ien

alarmieren­d: Die Union ist demnach auf 26 Prozent abgesunken. SPD und Grüne liegen gleichauf bei 17 Prozent, knapp vor der AfD mit 15 Prozent. Die Linke und die FDP folgen mit Abstand bei elf bzw. neun Prozent.

Bouffier, einer der Stellvertr­eter Angela Merkels in der CDU, hat die Verantwort­ung für die schlechten Umfragewer­te der Schwesterp­artei CSU zugeschrie­ben – wie übrigens auch Andrea Nahles. „Die CSU hat der Union in der letzten Zeit viel Vertrauen gekostet. Man kann nicht den Eindruck erwecken, dass vieles durcheinan­dergeht und die Regierung nicht handlungsf­ähig ist“, sagte der hessische Regierungs­chef in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“– eine explizite Kritik an CSU-Chef Horst Seehofer.

Rumoren in der CDU

Es rumort längst auch in den Reihen der CDU. Die Abwahl des Fraktionsc­hefs Volker Kauder und die Kür des weithin unbekannte­n westfälisc­hen Abgeordnet­en Ralf Brinkhaus zu seinem Nachfolger vor drei Wochen war auch ein schallende­s Misstrauen­svotum gegen die Kanzlerin. Angela Merkel sah sich hinterher genötigt, die Kritiker zum Verstummen zu bringen. Sie werde beim Parteitag im Dezember in Hamburg neuerlich als Vorsitzend­e antreten, verkündete sie. Sie betonte, sie halte es für sinnvoll, die Ämter der Regierungs- und der Parteichef­in in einer Hand zu behalten. Es ist ihr Credo, seit sie vor 13 Jahren zur Kanzlerin gewählt wurde.

Ungefährde­t ist sie dennoch nicht. Es kursieren Stimmen in der CDU, die eine Ämtertrenn­ung favorisier­en. In einem solchen Szenario würde Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r das Amt der CDU-Chefin übernehmen, um später die Nachfolge Merkels auch als Regierungs­chefin anzutreten. Bei der Tagung der Jungen Union kürzlich in Kiel blieben die Buhrufe für Merkel und die Proteste gegen ihre Politik aber aus.

Doch Norbert Röttgen, der frühere Umweltmini­ster, wagte sich in einem „Spiegel“Interview aus der Deckung. Es reiche nicht, eine Sitzung zu leiten, ätzte er. Es gehe darum, eine Regierung zu führen. Ihre Position wollte er allerdings nicht offen infrage stellen – ähnlich wie Wolfgang Schäuble, der Bundestags­präsident, der indessen von „Erschütter­ungen“nach der Bayern-Wahl sprach und die Kanzlerin in diese Analyse einbezog. Ihre Position sei nicht mehr unbestritt­en wie in den drei Legislatur­perioden zuvor, erklärte der 76-Jährige. Er fügte hinzu, dass europäisch­e Regierungs­chefs sie gleichwohl um ihre Umfragewer­te beneiden würden. Eine Wiederwahl Merkels beim Parteitag hält der CDU-Doyen für wahrschein­lich.

Die Grünen halten sich bereit

Auf die Koalition in Berlin kommen jedenfalls Turbulenze­n zu. Die größte Unsicherhe­it geht indessen von der SPD und der CSU aus. Womöglich stürzt die Hessen-Wahl die SPD in ein Dilemma, der Druck für einen Ausstieg könnte übermächti­g werden. Für die Hälfte der Amtszeit ist ohnehin eine Revisionsk­lausel vorgesehen. Die Grünen, beflügelt durch ihr Hoch und ihr neues Führungsdu­o Habeck/Baerbock halten sich als mögliche Alternativ­e bereit.

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Das verheerend­e Ergebnis der SPD in Bayern wird auch Folgen für Bundeschef­in Nahles (links) haben. Markus Se) muss den historisch­en Verlust der absoluten Mehrheit der CSU verantwort­en. Katharina Schulze (r.), Spitzenkan­didatin der Grünen, kann sich dagegen freuen: Ihre Partei erreichte in Bayern den zweiten Platz.
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[ reuters, AFp, ApA ]
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