Sind die Börsen schon zu weit gelaufen?
Aktien. Die Aktienmärkte der USA und von Europa sind heuer besonders stark auseinandergedriftet. Das hat mit der Zinspolitik zu tun und mit Unternehmen, die höhere Gewinne liefern. Aber auch mit einem Europa, das für Unsicherheit sorgt.
Wien. Beim Internationalen Währungsfonds war man auch schon einmal optimistischer: Für dieses und das kommende Jahr revidierte die Organisation ihre globale Wachstumsprognose jüngst nach unten. Dem Welthandel sagt der IWF – auch infolge des Handelskonflikts – ebenfalls geringere Steigerungsraten voraus.
Man hat allerdings noch andere Sorgen – und hält abrupte Turbulenzen an den Finanzmärkten für eine reale Gefahr. Denn die günstigen Finanzierungskonditionen wirken sich derzeit noch positiv auf das Wachstum aus. Für einige Schwellenländer gelte dies jedoch nicht mehr. Auf mittlere Sicht könnten die Risken also zunehmen. Entscheidend für die Börse werde jedenfalls das weitere Vorgehen in der Geldpolitik sein.
Just an jenem Tag, an dem der IWF seine Warnung aussprach, fielen die Kurse dann auch nach unten. Doch dürfte es sich vorerst nur um einen Rücksetzer gehandelt haben und noch nicht um die große Korrektur.
Fakt ist jedenfalls, dass die Geldpolitik an den Märkten eine entscheidende Rolle spielt. Während die EZB ihre Füße in Sachen Zinserhöhungen noch still hält, ist die US-Notenbank Fed seit Langem dabei, sich ihren Weg Richtung Normalität zu bahnen. Bereits drei Mal hat sie den Leitzinssatz 2018 angehoben, ein weiterer Zinsschritt steht noch heuer im Raum. Auch 2019 soll es in diesem Tempo weitergehen. Für das kommende Jahr steht wohl auch die erste Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank seit Langem an.
Nicht nur deshalb ist die Ausgangslage für Anleger derzeit alles andere als einfach. In den USA brummt die Konjunktur, die Arbeitslosigkeit ist auf einem rekordniedrigen Niveau und die Börsen sind weit gelaufen. Die Unternehmen selbst haben mit rekordhohen Aktienrückkäufen zu dieser Situation beigetragen. Die hohe Profitabilität der Konzerne scheint die Bewertungen aber auch zu rechtfertigen, so sehen das zumindest die Experten der Allianz Invest.
USA auf Rekordniveau
Sondereffekte, wie etwa die Steuerreform, werden nach Ansicht der Raiffeisen KAG ab 2019 aber an Wirkung verlieren. Die Inflation wird sich aufgrund steigender Energiepreise und höherer Löhne wohl ebenfalls zurückmelden, weshalb die beste Marktphase schon vorüber sei.
Auch der Handelskonflikt mit China ist ein Problem. Denn „weder dessen Auswirkungen noch das Ende
sind bislang vollständig abschätzbar“, schreiben die Experten der Bank Gutmann. Weshalb der Blick auf die USA für die kommenden drei bis sechs Monate nicht mehr nur eu- phorisch ausfalle. Die Alternativen zum amerikanischen Aktienmarkt gelten derzeit allerdings als überschaubar.
Anleger lassen Europa liegen
Während Dow Jones und S&P 500 im bisherigen Jahresverlauf jeweils um fast acht Prozent (auf Eurobasis) zulegen konnten (und es wird wohl noch eine Zeit lang so weitergehen), haben Anleger in allen großen europäischen Märkten herbe Verluste eingefahren.
So belief sich das Minus im DAX heuer auf rund zehn Prozent, im Eurostoxx waren es minus acht Prozent. Der ATX hielt sich mit einem Verlust von sieben Prozent noch relativ wacker. Die Entwicklung ist kaum verwunderlich, Europa hat derzeit so seine Probleme. Der drohende Austritt der Briten aus der EU und die noch nicht abschätzbaren Konsequenzen haben viele Anleger dazu veranlasst, ihr Geld abzuziehen. Auch Italien, dessen Regierung mit Brüssel über die Haushaltszahlen streitet, sorgt für Unsicherheit.
Für manche wäre die derzeitige Lage ein Anlass, um sich vergleichsweise günstig mit Aktien einzudecken. Jedoch bleibt die Gewinnentwicklung der Unternehmen unter den bisherigen Erwartungen zurück, sagen die Experten der Allianz. Möglicherweise kann sich aber der schwächere Euro künftig positiv in den Bilanzen niederschlagen. Für das vierte Quartal ist man bei der Allianz jedoch Europa gegenüber noch neutral eingestellt, während man die USA auf „Übergewichten“gesetzt hat.
Vorsicht geboten
Wer mutig ist, könnte auch noch woanders zuschlagen: nämlich in den Schwellenländern. Sie sind aufgrund von Turbulenzen in der Türkei und Argentinien und wegen der US-Leitzinserhöhungen unter Druck geraten und hatten mit Kapitalabflüssen zu kämpfen. Die Allianz rät aufgrund des Sentiments noch zur Vorsicht. Auch weil die Unternehmensgewinne relativ schwach seien. Bei der Raiffeisen KAG übt man sich ebenfalls in Zurückhaltung, wenngleich es sich „langfristig aufgrund der Bewertungen um eine sehr interessante Assetklasse handelt, kurzfristig sind die Risken aber nach wie vor erheblich“. Am Ende stellt sich freilich auch die Frage, für welche Aktie man sich entscheidet.