Ein später Gruß aus Londons Roaring Sixties
Die vor 51 Jahren gegründete Band Procol Harum reüssierte mit ihren Welthits im Wiener Gasometer.
„Good evening. We are Procol Harum from England“, brummelte Sänger und Pianist Gary Brooker eingangs. Da lachten die Zuschauer noch. Später, als er zu einer Standpauke gegen Kanzler Kurz und die EU ausholte, wurde es still. Nur gegen Brüssel habe man als Brite etwas, sonst aber seien wir alle gute Freunde – Brookers Naivität in dieser Sache war schmerzhaft. Nach dem Austritt wird es für die britische Popbranche Beschränkungen geben. Das wird auch Brooker, Jahrgang 1945, aufs Geldtascherl gehen.
Mit 21 Jahren hat er mit „A Whiter Shade Of Pale“einen Welthit und Evergreen komponiert. Die Tantiemen daraus sind ihm wohl zu rasch aus den Fingern geglitten. Zudem kostete ihn die an Bach angelehnte Orgelpassage von Matthew Fisher nachträglich ein hübsches Sümmchen. Vor neun Jahren wurden Fisher 40 Prozent der Tantiemen zugesprochen. Seither geht Brooker häufiger auf Walz, als einziges verbliebenes Mitglied der Urbesetzung. Das ist nicht selbstverständlich. Denn es gibt geschichtsträchtige Bands wie Blood, Sweat & Tears, die ohne Originalmitglieder touren und dem Bandgründer trotzdem wie ein FranchiseUnternehmen Geld in die Kasse spielen.
So gesehen ist Brooker mit seiner nach einer Katze benannten Progressive-RockKombo sehr redlich. Er ist immer noch kreativ. Und so begann der Liederreigen an diesem Abend mit „I Told On You“, einem würdig groovenden Song des neuen Albums „Novum“. Getextet wurden die neuen Lieder nicht mehr vom treuen Keith Reid, der seit 1967 für die verschrobenen Geschichten, die Brooker singt, verantwortlich zeichnete. Er war „nonperforming member“von Procol Harum. Und ist es jetzt offensichtlich nicht mehr.
Statt sich einen Youngster zu rekrutieren, sah sich Brooker im Graue-Panther-Segment des britischen Pop um und engagierte Pete Brown, der einst für Eric Claptons Blues-Trio Cream Liedtexte verfasst hat. Die neuen Songs sind allesamt ein wenig zu brav. Das erste Set wurde durch Klassiker wie „Pandora’s Box“und „A Salty Dog“getragen. Danach war die alte Progressive-Rock-Sperrigkeit Tugend. Etwa im epischen „Whaling Stories“, das auf jegliche schnelle Pointe verzichtete. Surreal, traumgleich fluteten Songs wie „Homburg“und „Conquistador“ans Ohr. Erwartungsgemäß ans Ende wurde „A Whiter Shade Of Pale“platziert. Was für ein Song! Hocherotisch vibrierte Brookers Stimme, als sie vom Aufbruch der „sixteen vestal virgins“kündete. Als Quellen des Texts wurden später das „Decamerone“und die „Canterbury Tales“ausgemacht. Ein Poesiekaleidoskop a` la Roaring Sixties, das hervorragend gealtert ist.