Potenzialentfaltung im digitalen Zeitalter
Unter dem Leitthema „Zukunft gestalten“widmete „Die Presse“einen Tag der mittelständischen Wirtschaft. Die Informationen reichten von Digitalisierung bis Finanzierung.
Österreichweit zählen etwa 249.000 Unternehmen zu den kleinen und mittleren Betrieben (KMU) der heimischen Wirtschaft. KMU repräsentieren 99,6 Prozent aller Unternehmen und bieten 1,7 Millionen Personen einen Arbeitsplatz. Insgesamt entspricht das etwa zwei Drittel der Beschäftigten in der gewerblichen Wirtschaft, der größte Anteil (23,7 Prozent) davon geht auf das Konto von Kleinunternehmen (10–49 Beschäftigte). Gleichzeitig bilden KMU 64 von 100 Lehrlingen aus, jährlich sind das rund 55.000. Mit Umsatzerlösen von über 400 Milliarden Euro tragen sie zudem einen Löwenanteil der Wirtschaftsleistung und bilden somit das Rückgrat der österreichischen Wirtschaft.
Diese, jährlich im Auftrag der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) erhobenen Zahlen, verdeutlichen die enorme gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Verantwortung, die Klein- und Mittelbetrieben in Österreich zukommt.
Zeit für Entschleunigung
Um dieser Verantwortung auch in Zukunft nachkommen zu können, ist eine gute Vernetzung der Unternehmen wichtig. Unter dem Leitthema „Zukunft gestalten“lud „Die Presse“am 9. Oktober zur zweiten Mittelstandstagung in das Palais Hansen Kempinski im ersten Wiener Gemeindebezirk.
Ziel des speziell auf Geschäftsführer, Vorstände und Entscheider von KMU ausgerichtete Symposiums war es, reale und aktuelle Probleme und Herausforderungen zu behandeln. Gleichzeitig wurden im Rahmen von Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Workshops unterschiedliche Lösungsansätze aufgezeigt. In Zeiten der Digitalisierung drängen immer mehr junge Men- schen in die Arbeitswelt, deren Vorstellungen von Arbeit sich gänzlich unterscheiden von dem traditionellen Arbeitsverständnis. „Führungskräfte müssen ihre Rolle völlig neu denken“, sieht Keynote-Speaker Ali Mahlodji diese in der Verantwortung.
Seinen Vortrag beginnt er unerwartet – mit Stille. Einige Sekunden lang steht er auf der Bühne und sagt nichts. Für viele Gäste zu viel der Ruhe. Manche greifen zu ihrem Smartphone, andere schauen einander verdutzt an. „Das hat Sie jetzt irritiert, nicht wahr?“, spricht der Redner endlich seine ersten Worte und erklärt weiter: „Wir sind in unserem Alltag nie wirklich im Hier und Jetzt, sondern mit unseren Gedanken immer in der Vergangenheit oder der Zukunft.“
Gerade in Zeiten, in denen sich die Welt immer schneller zu drehen scheint und man das Gefühl habe, rund um die Uhr auf Abruf sein zu müssen, ist es wichtig, sich zwischendurch auch seine Auszeiten zu nehmen – beruflich wie privat. Man solle darauf achten, manchen Dingen Zeit zu geben und sie nicht erzwingen wollen. „Wir haben verlernt, geduldig zu sein, weil wir das Allermeiste immer sofort haben können.“
Vom Chef zum Coach
Mahlodji ist EU-Jugendbotschafter sowie Trend- und Zukunftsforscher. In seiner Arbeit mit jungen Menschen versucht er, ihnen Perspektiven aufzuzeigen und neue Zugänge zum Thema Arbeit zu vermitteln. In seiner Keynote-Rede zum Thema „Potenzialentfaltung im digitalen Zeitalter“zeigt er eine Diskrepanz zwischen der „Welt von früher und der neuen Zeit“auf, die zukünftige Beziehungen in der Arbeitswelt prägen wird.
Die neue Generation will sich durch ihre Arbeit selbst verwirklichen. Moderne Führungskräfte sollten sich Mahlodji zufolge daher mehr als Dienstleister verstehen – mit der Aufgabe, aus ihren Mitarbeitern das Beste herauszuholen und sie zu unterstützen. „Gute Chefs zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit ihren Mitarbeitern auf Augenhöhe kommunizieren und sich deren Stärken und Fähigkeiten bewusst sind. Zutrauen heißt hier das Zauberwort.“Er selbst habe noch nie einen Jugendlichen erlebt, der nicht wollte. Jedenfalls müsse man mit den Jungen reden, sie ernst nehmen und ihnen zuhören. „Wie soll ich einem Jugendlichen erklären, was gut für ihn ist, ohne zu verstehen, wie er denkt?“Für Mahlodji gibt es keine größere Motivation als den Glauben an das eigene Potenzial.
Eine neue Zeit
Die Zeiten, in denen man nach der Ausbildung sein Leben lang im selben Unternehmen verbracht hat und danach mit einer saftigen Pension belohnt wird, sind längst vorbei. Die Sicherheitsmechanismen der alten Welt existieren nicht mehr.
Heutzutage sei es völlig normal, nach drei oder vier Jahren seinen Job und das Unternehmen zu wechseln, erklärt Mahlodji. Unternehmen, die das nicht verstehen, werden es in der Arbeitswelt von morgen schwer haben. „Führungskräfte, die nicht auf die Ideen, Wünsche und Bedürfnisse eingehen, werden die besten Mitarbeiter schnell wieder verlieren. Man muss den Mitarbeitern vermitteln, welchen Sinn ihre Arbeit hat. Als Beispiel bringt er einen der Putztruppleiter der ÖBB, der ihm einmal gesagt hat, er sei der wichtigste Verkäufer der ÖBB. Nachgefragt, wie er auf diese Idee kommt, sagte er Mahlodji, wenn die Bahnhöfe und Züge nicht sauber sind, beschweren sich die Gäste, finden die ÖBB schlecht und werden auf Alternativen ausweichen.
Reden, zuhören, ernst nehmen
Mit seinen 37 Jahren hat Mahlodji selbst schon über 40 Jobs ausprobiert. Ob als Putzhilfe, Verkäufer, Lehrer oder Manager – Mahlodji hat selbst lange gebraucht, um herauszufinden, was für ihn das Richtige ist. Mit viel Leidenschaft und mitreißenden Anektoten aus seiner eigenen Lebensgeschichte macht der Schulabbrecher in Vorträgen und Seminaren auch anderen Menschen Mut und zeigt ihnen Perspektiven auf. Seine Passion machte er zum Beruf: 2012 gründete er die Internetberufsorientierungsplatt- form whatchado.com, auf der über 6500 Menschen aus der ganzen Welt – vom Präsidenten bis zum U-BahnFahrer der Wiener Linien – anhand von Videointerviews erzählen, was ihnen an ihrem Job Spaß macht.
Die Zukunft der Arbeit ist ungewiss. Was automatisierbar ist, wird früher oder später automatisiert. Gleichzeitig wissen wir, dass neue Berufsfelder entstehen werden. „Nutzen wir diesen Wandel als Chance, Neues zu entdecken und uns darin womöglich selbst zu verwirklichen.“
„Ich habe noch nie einen Jugendlichen erlebt, der nicht will. Man muss ihm nur aufzeigen, dass er auch kann.“Ali Malohdschi, Gründer whatchado