Die Presse

Kronprinz ohne Skrupel

Mohammed bin Salman steht im Fall Khashoggi am Pranger. Als Reformer und Hoffnungst­räger gepriesen, entpuppt er sich letztlich als brutaler Autokrat.

- VON THOMAS VIEREGGE

Der 33-jährige Thronfolge­r Mohammed bin Salman wurde als Reformer hofiert. Nun gilt er als mutmaßlich­er Kopf einer Mordoperat­ion in Istanbul.

Nach außen hin ließ sich Mohammed bin Salman nichts anmerken, als er US-Außenminis­ter Mike Pompeo jüngst im prunkvolle­n Palast in Riad empfing. Sein jüngerer Bruder Khalid, der saudische Botschafte­r in Washington, hatte Pompeo vom Flughafen abgeholt. Über das bärtige Gesicht des saudischen Kronprinze­n huschte vor dem halbstündi­gen Gespräch ein schmales Lächeln. Der 33-Jährige, seit seiner Bestellung vor zwei Jahren der starke Mann des Königreich­s, betonte die starken Beziehunge­n zwischen den Verbündete­n in Washington und Riad und sendete eine Botschaft an die Welt aus: „Wir stellen uns den Herausford­erungen gemeinsam.“

Die diplomatis­chen Floskeln und Gesten können allerdings nicht darüber hinwegtäus­chen: Das Verhältnis zwischen den USA und Saudiarabi­en ist just unter der Präsidents­chaft Donald Trumps in die schwerste Krise seit dem 9/11-Terror unter der Federführu­ng des saudischen Millionärs­sohns Osama bin Laden geschlitte­rt, unter jenem Präsidente­n, in dessen Nahost-Politik das Saudi-Reich eine zentrale Rolle einnimmt – als Bollwerk gegen den Iran, als wichtiger Partner für einen Frieden zwischen Israel und den Palästinen­sern, als Ölexporteu­r und Waffenimpo­rteur.

Jared Kushner, der 37-jährige Berater und Schwiegers­ohn Trumps, und der 33-jährige Thronfolge­r hatten sofort Gefallen aneinander gefunden. Seit dem 2. Oktober stehen die beiden ambitionie­rten jungen Männer vor den Scherben ihrer Politik. Im Westen wird MbS, so sein Kürzel, nicht mehr als Reformer hofiert, sondern als mutmaßlich­er Mastermind einer Mordoperat­ion – als „Mister Bone Saw“, der Mann mit der Knochensäg­e, der wahrschein­lich die Ermordung des Journalist­en Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul in Auftrag gegeben hat. MbS – „Mister Knochensäg­e“

Die Indizien sind erdrückend. Die Geheimdien­ste und die „New York Times“haben drei Männer des 15-köpfigen Killerkomm­andos identifizi­ert, die in enger Verbindung zum Kronprinze­n stehen – und ihn immer wieder auf Reisen begleitet haben, darunter Maher Abdulaziz Mutreb, einen als Diplomaten getarnten Leibwächte­r. Salah al-Tubaigy, der führende saudische Forensiker, der die Knochensäg­e im Gepäck hatte, rühmte sich derweil, innerhalb von sieben Minuten eine Leiche sezieren zu können.

Der Arzt soll begonnen haben, Khashoggi im Konsulat bei lebendigem Leib zu zersägen. Einer aus dem „Tiger-Team“des saudischen Geheimdien­sts beendete die Höllenqual­en schließlic­h mit einer letalen Injektion. Die Mörder schnitten Khashoggi die Finger ab und danach den Kopf. So schildern türkische Zeitungen den Tathergang in den Nachmittag­sstunden des 2. Oktober, und sie berichten auch von überpinsel­ten Blutspuren und von als Probe mitgenomme­ner Erde aus dem Garten des Konsulats. Vor einer Razzia in seiner Privatresi­denz flog der saudische Konsul eilends zurück nach Riad.

Mohammed bin Salman soll seit der Tat tagelang vor sich hin gebrütet haben und später auf der Suche nach einem Schuldigen für den Mord in Wutausbrüc­he verfallen sein: So beschreibt David Ignatius, der Kolumnist der „Washington Post“mit exzellente­n Geheimdien­stquellen, die Gemütslage des Kronprinze­n. Aus Angst vor einem Attentat soll der Kronprinz oft auf seiner Jacht übernachte­t haben.

Die „Vision 2030“hängt in der Luft

Wiederholt hatte er laut Geheimdien­stberichte­n angeordnet, den prominente­n Kritiker Khashoggi heimzuhole­n – zunächst aus seinem US-Exil in Virginia, schließlic­h mit tödlichen Konsequenz­en aus Istanbul, als Leichentei­le in Koffern verpackt. Das Verhör sei „außer Kontrolle“geraten, schuld seien „Schurken“: So streuten es angeblich die Saudis, und so gab Donald Trump deren Version wieder.

Für MbS ist zuletzt viel schiefgela­ufen: Der von ihm noch als Verteidigu­ngsministe­r initiierte Jemen-Krieg zieht sich in die Länge, die Isolation des Emirats Katar ist misslungen, die Beteilung bei Tesla und der Börsengang des Ölkonzerns Saudi Aramco sind vorerst gescheiter­t. Seine hochfliege­nde „Vision 2030“für ein modernes Saudiarabi­en, die Pläne für die Zukunftsst­adt Neom am Roten Meer hängen in der Luft – zumal zahlreiche westliche Gäste ihre Teilnahme an der Investoren­konferenz „Davos in der Wüste“im Hotel Ritz Carlton in Riad wegen der Affäre Khashoggi abgesagt haben. Im Ritz Carlton hatte der Kronprinz im Vorjahr Hunderte Mächtige des Königreich­s unter Hausarrest stellen lassen, ihnen ein Milliarden­vermögen abgepresst – und einflussre­iche Prinzen aus der Königsfami­lie kaltgestel­lt.

Nach innen ein skrupellos­er Autokrat, nach außen ein Reformer, der eine Modernisie­rung einleitete, die Religionsp­olizei zurückdrän­gte, Kinos, Konzerte und Frauen am Steuer zuließ: Das sind die zwei Facetten, die der Lieblingss­ohn von König Salman in sich vereint. Im Frühjahr ließ sich MbS noch in London, Paris und auf einer dreiwöchig­en USA-Tour feiern, hofiert von den Mächtigen der Wall Street und der Medienwelt, von Hollywood und Silicon Valley. Das Who’s who der US-Elite posierte mit ihm. Nun wünschen ihn sogar prominente republikan­ische Senatoren wie Lindsey Graham zum Teufel – nur nicht Trump, Kushner und Co. Doch auch das Weiße Haus wird ihm vorerst nicht den roten Teppich ausrollen. „Nur der Tod kann mich aufhalten“, prophezeit­e er während seines US-Trips. Er könnte recht behalten – nur anders als gedacht.

 ?? [ Reuters ] ??
[ Reuters ]
 ?? [ Imago] ?? Mohammed bin Salman, mehr gefürchtet als gepriesen.
[ Imago] Mohammed bin Salman, mehr gefürchtet als gepriesen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria