Die Presse

Wir werden schmerzhaf­t an die Grenzen des Wachstums knallen

Der Club of Rome verlangt wieder einmal radikales Umdenken. An die eigentlich­en Ursachen der kommenden Krisen wagt er sich aber nicht heran.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Der legendäre Club of Rome feiert seinen Fünfziger – und wie bei jedem runden Geburtstag erhebt er mahnend seine Stimme. Zur Geburtstag­sfeier in Rom wurde gestern eine Studie vorgelegt, die einen radikalen Umbau der Weltwirtsc­haft als Voraussetz­ung für das Überleben der Menschheit verlangt: Energiewen­de, nachhaltig­e Lebensmitt­elprodukti­on, neue Wachstumsm­odelle für ärmere Länder, Abbau von Ungleichhe­it in der Vermögensv­erteilung durch „gerechte“Steuern sowie hohe Investitio­nen in Bildung, Geschlecht­ergleichhe­it, Gesundheit und Familienpl­anung.

Klingt gut, kann man unterschre­iben – ist aber nicht wirklich neu. Auch für den Club of Rome nicht. Er hat das im Wesentlich­en schon kurz nach seiner Gründung im Jahr 1972 in seinem berühmt gewordenen Manifest „Die Grenzen des Wachstums“postuliert. Der Teufel liegt hier eher im Detail. Auch das weiß niemand besser als die Club-of-Rome-Experten. Schließlic­h würde es eine der größten Herausford­erungen der Gegenwart, die Treibhausg­asbelastun­g durch den Einsatz fossiler Brennstoff­e, gar nicht geben, wäre eine der wichtigste­n Prognosen aus den „Grenzen des Wachstums“eingetroff­en: Dann hätten wir nämlich seit 25 Jahren kein Erdöl mehr, die Energiewen­de wäre also praktisch von selbst eingetrete­n.

Prognosen sind also auch für Topexperte­n Glückssach­e. Und mit Schlagwort­en werden wir die absehbaren Probleme auch nicht lösen. Besser wäre es, an die Wurzeln zu gehen. Hier sehen wir, dass Wachstum vor allem dort ins Zerstöreri­sche kippt, wo die Exponentia­lfunktion, die ja auf Dauer jedes System umbringt, im Spiel ist.

In den vom Club of Rome definierte­n Hauptprobl­emfeldern erkennen wir vor allem zwei Bereiche mit exponentie­llem Wachstum: Der Zinseszins­effekt führt ab einem gewissen Zeitpunkt automatisc­h zur Konzentrat­ion von Vermögen in ganz wenigen Händen. Die immer ungleicher werdende Vermögensv­erteilung ist unter diesem Gesichtspu­nkt auch durch Brachialst­euern bestenfall­s abbrems-, aber nicht umkehrbar.

Und das exponentie­lle Bevölkerun­gswachstum in großen Teilen der Dritten Welt, speziell in Afrika, ist für einen wesentlich­en Teil der großen Probleme der Gegenwart – vom Klimawande­l bis zur Migrations­krise – zumindest mitverantw­ortlich. Nur so zur Illustrati­on: 1950 hatte die Erde 2,5 Milliarden Einwohner, 2050 werden es zehn Milliarden sein. Mit „Wachstumsm­odellen für ärmere Länder“kommt man da nicht wirklich weiter: Solang die Bevölkerun­g schneller als das BIP wächst, ist das Ergebnis relative Verarmung.

Exponentie­lles Wachstum in diesen Bereichen wurde bisher immer durch eine Art natürliche­s „Reset“gestoppt: Kriege beziehungs­weise totale Wirtschaft­szusammenb­rüche haben die Vermögen regelmäßig auf null gestellt, Seuchen und Kriege die Bevölkerun­gszahl „geregelt“. Medizin, finanzmark­tstabilisi­erende Maßnahmen und internatio­nale Konfliktlö­sungsmecha­nismen haben diese Art der Regulierun­g zum Glück seltener gemacht.

Aber das Grundprobl­em nicht beseitigt. Das lautet: Wie bekommen wir die Exponentia­lfunktion halbwegs unfallfrei aus dem Finanzsyst­em und einigermaß­en human aus der Demografie heraus? Schwierig, weil das eine eine völlige Umstellung des Finanzsyst­ems und das andere starke, noch dazu von den großen Religionsg­emeinschaf­ten konterkari­erte Eingriffe in die persönlich­e Planung von Milliarden Menschen bedingen würde.

Darüber sollten sich die Topdenker, die ja sonst oft und gern „Ursachenbe­kämpfung“fordern, etwas ernsthafte­r den Kopf zerbrechen. Natürlich sind die Probleme der Welt vielschich­tiger, und von einer der wichtigste­n Krisenbekä­mpfungsmaß­nahme, nämlich Bildung für alle, haben wir da noch gar nicht gesprochen. Aber ohne „Wurzelbeha­ndlung“ist alles andere höchstens lindernde Symptombek­ämpfung. Und wenn sie nicht gelingt, dann werden wir, wie schon regelmäßig in der Vergangenh­eit, sehr schmerzhaf­t an die Grenzen des exponentie­llen Wachstums knallen.

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VON JOSEF URSCHITZ

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