Die Presse

„Ich hoffe, ich bin der Anti-Trump“

Interview. Der frühere finnische Regierungs­chef Alexander Stubb will Kommission­spräsident werden. Vom US-Präsidente­n hält er wenig, an Kanzler Kurz schätzt er dessen Frische und seinen Umgang mit der FPÖ.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Alexander Stubb ist ein großer Fan der EU. Unkritisch steht er ihr aber nicht gegenüber. „Ich denke sehr wohl, dass es berechtigt­e Fragen zum europäisch­en Projekt gibt“, sagte der frühere finnische Ministerpr­äsident im Gespräch mit der „Presse“, dem „Kurier“und der „Kleinen Zeitung“. „Die EU existiert aus vier Gründen: Frieden, Wohlstand, Stabilität, Sicherheit. Frieden haben wir erreicht. Beim Wohlstand schlagen wir uns recht gut. Wir sind der reichste Kontinent der Welt. Aber unsere Begriffe von Stabilität und Sicherheit sind im vergangene­n Jahrzehnt bis zum Grund erschütter­t worden. Die Eurokrise hat uns das Gefühl gegeben, dass unsere Währung nicht unter Kontrolle ist. Die Migrations­krise von 2015 wiederum gab uns das Gefühl, dass die Sicherheit nicht gewährleis­tet ist.“

Was also würde er anders machen als der jetzige Kommission­svorsitzen­de, JeanClaude Juncker, falls ihn die Delegierte­n der Europäisch­en Volksparte­i am 8. November in Helsinki zu ihrem Spitzenkan­didaten machen, die EVP die Wahl im Mai gewinnt und er von den Staats- und Regierungs­chefs als Kommission­spräsident vorgeschla­gen wird? „Juncker und seine Kommission verdienen Anerkennun­g dafür, die Eurokrise und die Migrations­krise teilweise gelöst zu haben und dafür, wie sie mit dem Brexit und Donald Trump umgehen. Ich denke, dass ich aus einer anderen Generation als Juncker komme. Ich bin sehr froh, dass er noch immer ein Nokia-Telefon verwendet. Aber ich würde ein wenig digitaler sein als das. Und ich würde Europa anders kommunizie­ren.“Zudem würde er versuchen, 40 Prozent der Kommissars­posten mit Frauen zu besetzen.

will Spitzenkan­didat der Europäisch­en Volksparte­i für die Europawahl werden. Der fünfsprach­ige frühere finnische Ministerpr­äsident und Hobbytriat­hlet hat in den USA sowie an der Sorbonne studiert, seinen Doktor an der London School of Economics gemacht und auch das Coll`ege d’Europe, die EUElitesch­miede schlechthi­n, absolviert.

Die Gretchenfr­age für jeden EVP-Politiker lautet: Wie hältst Du es mit Viktor Orban?´ In Stubbs Wahlmanife­st steht, ohne Ungarn zu erwähnen: „Illiberale Demokratie ist ein Widerspruc­h in sich, und sie widerspric­ht dem, wofür die Europäisch­e Volksparte­i steht.“Wozu also noch mit Orban´ diskutiere­n, ob er die Werte der EVP teilt? Der Begriff der „illiberale­n Demokratie“stamme doch von ihm. Das ist die Raison d’Eˆtre seines politische­n Projekts. „Wenn das der Fall ist, muss er hinaus. Keine Frage. Wenn Orban´ unsere Werte nicht akzeptiert, ist er auf dem Weg nach draußen.“

Eine neue Migrations­politik sei wichtig, so Stubb – aber nicht das allein entscheide­nde Thema Europas: „Wir haben heute keine Migrations­krise mehr. Die Zahlen der Neuankömml­inge sind auf dem Niveau von vor 2015. Wer heute mit dem Hinweis auf künftige Migration Angst zu schüren versucht, soll lieber den Mund halten oder die Fakten zur Kenntnis nehmen.“Stubb möchte unter anderem „Asylzentre­n außerhalb der EU, die von der EU finanziert und gemeinsam mit dem UNHCR betrieben werden“,

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