Die Presse

Der gestrandet­e Whistleblo­wer

Porträt. Seit mehr als fünf Jahren lebt Info-Aktivist Edward Snowden zurückgezo­gen in Moskau. Er finanziert sein Leben mit Auftritten und muss auf das Wohlwollen russischer Behörden hoffen.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R (MOSKAU)

Unlängst besuchte Edward Snowden die TretjakowG­emäldegale­rie in Moskau. Er bemerkte, wie ihn eine junge Frau anstarrte. Schließlic­h fragte sie: „Sind Sie Edward Snowden?“Er bejahte. Die Frau bat ihn um ein gemeinsame­s Selfie. Snowden sagt, er sei froh gewesen, dass die Fotografie nie in den sozialen Medien aufgetauch­t ist. Es sind Anekdoten wie diese, von denen Snowden selbst in Interviews erzählt, die einen spärlichen Einblick in sein Moskauer Leben geben.

Seit mehr als fünf Jahren lebt der frühere NSA-Mitarbeite­r in der russischen Hauptstadt. Wenn man seinen Anwalt Robert Tibbo bittet, mehr über den Alltag seines prominente­n Klienten zu erzählen, winkt er ab. „Darüber darf ich nicht sprechen“, sagt er dann. Tibbo wird dafür bezahlt, keine Auskunft zu geben und das zu schützen, was Snowden heilig ist: seine Privatsphä­re.

„Edward Snowden hat ein sehr öffentlich­es Leben, aber er ist eigentlich eine zurückgezo­gene Person“, sagt der Anwalt. Über die heute nicht mehr zu erfahren ist, außer ein paar Anhaltspun­kte: Er lebt mit seiner Partnerin in Russlands Hauptstadt, er erhält hin und wieder Besuch aus den USA. Der 35-Jährige verdient sein Geld mit Diskussion­steilnahme­n und Talks, zu denen er aus der Ferne zugeschalt­et wird, wie heute in Innsbruck. Interviews gibt er sehr selten. Mit seinem Engagement in der Freedom of the Press Foundation unterstütz­t er investigat­iven Journalism­us. Er twittert und äußert sich auf YouTube. Snowden sei ein „busy man“, sagt Tibbo, gebürtiger Kanadier mit Anwaltskan­zlei in Hongkong, im Telefonges­präch mit der „Presse“.

Dennoch ist es in der Öffentlich­keit um den Whistleblo­wer ru- hig geworden. Lang vorüber die Aufregung vom Sommer 2013, als Präsident Wladimir Putin den USAmerikan­er in Russland aufnahm. Russland, internatio­nal berühmt für seinen Mangel an Pressefrei­heit, konnte sich als Beschützer des Aufdeckers darstellen. Ein PRCoup. Doch eigentlich war Snowden in Moskau gestrandet.

Von Hongkong, wo er die von ihm gesammelte­n Beweismitt­el der NSA-Überwachun­g an Reporter übergeben hatte und Tibbo ihn anschließe­nd bei Flüchtling­en versteckte, wollte er sich nach Ecuador aufmachen. Noch während der Reise annulliert­en die USA seinen Pass. Snowden saß im Transitber­eich des Moskauer Flughafens Scheremetj­ewo fest. In den USA drohte ihm die Todesstraf­e. Er stellte 21 Asylanträg­e. Alle wurden abgelehnt, darunter auch der an Österreich gestellte. Erst als klar war, dass es keinen anderen Ausweg gab, nahm ihn Moskau auf.

Der Aufdecker hat nicht, wie öfter berichtet, politische­s Asyl in Russland erhalten. Er besitzt ein Geschäftsv­isum, das immer wieder erneuert werden muss. Das nächste Mal 2020. Er habe keinen Grund zur Annahme, dass Snowdens Aufenthalt­sgenehmigu­ng nicht weiter verlängert würde, sagt Tibbo. Gleichzeit­ig hat Moskau so ein Druckmitte­l in der Hand. Hält sich Snowden deshalb mit Kritik zurück? Sein Klient habe die russische Politik mehrfach kritisiert, entgegnet Tibbo.

wird am Donnerstag ab 18.30 Uhr per Videolives­chaltung zum Congress Innsbruck, einer Veranstalt­ung des Management Centers Innsbruck, zugeschalt­et und beantworte­t Publikumsf­ragen. Sein Anwalt Robert Tibbo, der Snowden seit dessen Flucht über Hongkong im Jahr 2013 betreut, wird vor Ort sein. Livestream der Veranstalt­ung: http://go.apa.at/3alaHgOF

Die Ausspionie­rung des Einzelnen durch staatliche Dienste ist gerade in Russland ein heißes Eisen. Vor einigen Monaten äußerte sich der Aktivist kritisch über die Sperre des russischen Messengerd­ienstes Telegram durch die Internetau­fsichtsbeh­örde. Telegram wollte einem Datenausta­usch mit dem Geheimdien­st nicht zustimmen. Dass manche den 35-Jährigen verdächtig­en, mit russischen Sicherheit­sbehörden zu kooperiere­n, lässt seinen Anwalt hingegen verzweifel­t auflachen. Nein, es gebe keinen Deal. „Er kann alles tun, was er will“, sagt Tibbo. „Als Grenze gilt für ihn, wie für jeden, das Strafrecht. Meines Wissens hat er keine rote Linie übertreten.“

Glaubt man Tibbo, dann ist Moskau nicht Snowdens Endstation, sondern ein Zwischenau­fenthalt. Sein Mandant würde gern in die USA zurückkehr­en. Man werde Mr. Snowden mit der Zeit in einem positiven Licht sehen. „Seine Reise ist noch nicht zu Ende.“

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