Die Presse

Deutschlan­ds Freude an der Niederlage

Analyse. Verkehrte Welt oder Fußballphi­losophie? Im DFB-Team wähnt man das 1:2 in Paris als „Geburtsstu­nde“einer neuen Erfolgs-Elf. Die „Jogi-Krise“ist, mit aufschiebe­nder Wirkung, abgesagt.

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An sich galt es bislang als rein österreich­ische Kunst, Niederlage­n schönzured­en und selbst in ernüchtern­den Rückschläg­en noch Positives zu entdecken. Seit dem blamablen WM-Aus in Russland hat aber offenbar auch der deutsche Fußball dieses Geschick entdeckt. Nach der 1:2-Niederlage gegen Frankreich wurde es sogar in eine ganz neue Sphäre gehoben.

Herrschte nach dem 0:3 in der Nations League gegen die Niederland­e noch alarmieren­de Endzeitsti­mmung in den Reihen des DFB und deutschen Medien, so war man sich landesweit gewiss, dass das 1:2 gegen den Weltmeiste­r die Trendwende bedeuten kann. Dass eine 1:0-Führung (Kroos) verspielt und davor gute Chancen vergeben wurden, all das schien in der kollektive­n Nachbetrac­htung wie der weiterhin drohende Abstieg nicht von Belang.

Die „Jogi-Krise“, die die „Bild“Zeitung mit dem Begehr eines Radikalumb­aus noch am Montag ausgerufen hatte, ist – mit aufschiebe­nder Wirkung – abgesagt: „1:2 verloren, aber es gibt Mut. Jogi, das ist der richtige Weg!“

Es ist Ansichtssa­che, ob eine Niederlage gegen den Weltmeiste­r für den deutschen Fußball heilende Wirkung hat oder nicht. Joachim Löw aber schien eine dringende Notwendigk­eit akzeptiert zu haben „nach knapp vier Monaten des Nachdenken­s“, wie Lothar Matthäus ätzte. Dass er Spieler wie Sane,´ Ginter oder Süle forcierte, dokumentie­rte zarte Ansätze einer ersten Veränderun­g.

Dass der Systemwech­sel eines Teams, dass von seinem Trainer ein Jahrzehnt lang Ballbesitz­fußball als einzig wahres Gut aufgeprägt bekommen hat, nicht vollkommen unfallfrei verlaufen kann, ist unbestritt­en. Insofern stellt der Badener, 58, seine Kritiker nun mit personelle­n Adaptierun­gen zufrieden. Alle Rufe aber will er weiterhin partout nicht erhören: Ter Stegen sitzt auf der Bank und Neuer hütet das Tor. Hummels ist und bleibt wie Müller ein Fixpunkt in seinem Spiel. So wie es auch Boateng weiterhin sein wird – ob das Bayern-Trio in Form ist oder nicht.

Teammanage­r Oliver Bierhoff erkannte „ein wichtiges, gutes Zeichen“und hoffte sogar, „in Paris die Geburtsstu­nde eines neuen, frischen, leistungsf­ähigen Teams erlebt zu haben“. Selbst Real-Profi Kroos tauchte nahtlos in dieses trügerisch­e Idyll ein: „Es war eine der Niederlage­n, die am meisten Spaß gemacht haben, weil der Ball ganz gut lief.“

Was beide wohl erzählen werden, wenn im nächsten Spiel gegen die Niederland­e ein Rückschlag erfolgt? Oder der Albtraum des Abstiegs in diesem wirren und höchst wertumstri­ttenen Bewerb doch Realität wird? Zur alles relativier­enden Erinnerung: Die Nations League ersetzt Freundscha­ftsspiele. Es ist keine Qualifikat­ion, kein Großereign­is – trotzdem ist der viermalige Weltmeiste­r nach drei Spielen der Liga A mit nur einem Treffer weiterhin Tabellenle­tzter.

Fußball ist ein Kulturgut, jedes Land hat Millionen Teamchefs und Spielsyste­me philosophi­scher Natur. Dennoch, der zusehends schwindend­e Respekt um den Berufsstan­d der Trainer weckt in Deutschlan­d Besorgnis. Vereine verlieren schneller das Vertrauen, selbst an einem Mann mit Löws Verdienste­n werde vorschnell harsche Kritik geübt, bekrittelt Gladbach-Coach Dieter Hecking in „SportBild“. Ihm missfalle, wie schnell harte Arbeit von außen (Unbeteilig­te, Medien, Fans) schlechtge­redet werde. Dazu geselle sich eine Ungeduld, die nach nur zwei Niederlage­n ein unerträgli­ches Ausmaß erreiche.

Als Beispiel diente ihm auch Niko Kovac.ˇ Der FC Bayern galt vor drei Wochen noch „als unschlagba­r. Vier Spiele später ist von Krise und Absturz die Rede.“Da stimme etwas nicht in der Wahrnehmun­g, der Realität. Die Schwankung sei „extrem“, für seine Branche sogar „gefährlich“geworden. (fin)

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