„Nicht jede Migration entlastet uns“
Interview. Ifo-Chef Clemens Fuest warnt vor einer Pleite Italiens und rät zu Reformen des Sozialstaats.
Die Presse: Österreichs Kanzler ist 32 Jahre alt. Was muss er machen, damit seine Generation einmal eine sichere Pension hat? Clemens Fuest: Für Leute, die so jung sind wie der Kanzler, besteht noch Zeit. Man kann noch handeln. Wir wissen viele Dinge über die Zukunft nicht, aber die demografische Entwicklung verstehen wir ganz gut. Die Kinder von heute sind in 20 bis 25 Jahren auf dem Arbeitsmarkt, und die 40-Jährigen von heute sind dann Pensionisten. Ein System, in dem die arbeitende Bevölkerung für die Pensionisten zahlt, wird beeinträchtigt, wenn die nächste Generation immer kleiner wird. Das System wird weniger leisten können. Da gibt es nur eine Alternative: Ansparen. Und weil die Zinsen niedrig sind, müssen wir immer mehr sparen.
Soll der Staat sparen oder die Menschen? Idealerweise beide. Der Staat kann das Sparen unterschiedlich gestalten. Die vielleicht wichtigste Komponente ist die Staatsverschuldung. Mit einer alternden und schrumpfenden Bevölkerung sollte man nicht so hohe Staatsschulden haben. Frankreich altert viel langsamer als wir und kann sich deshalb mehr Verschuldung leisten als etwa Deutschland. Und für die Haushalte muss der Staat Anreize setzen, damit sie auch ansparen.
Wenn der Staat Geld braucht, hebt er die Steuern. Das beeinträchtigt die Haushalte. Richtig, man kann nicht beides endlos in die Höhe treiben. Der Staat kann aber nicht nur die Abgaben erhöhen, sondern auch Ausgaben kürzen. Auch Private müssen heute auf Konsum verzichten, wenn sie sparen wollen.
Aber um ein steigendes Pensionsantrittsalter werden wir nicht herumkommen, oder? Idealerweise hat man ein flexibles Antrittsalter. Wer länger arbeiten will, soll das auch tun. Man muss aber auch aufpassen, man kann das nicht allein durch das Pensionsalter lösen. Das ist auch eine Gerechtigkeitsfrage. Menschen in unterschiedlichen Schichten haben auch unterschiedliche Lebenserwartungen. Menschen in höheren sozialen Schichten leben tendenziell länger.
Die Franzosen bekommen mehr Kinder. Deutschland und Österreich setzen vor allem auf Migration. Was ist der bessere Weg? Migration kann das System dann entlasten, wenn der Durchschnittsmigrant mindestens in das System einbezahlt, was er rausbekommt. Am besten mehr. Wir haben unsere Gesellschaft so organisiert, dass wir eine Art Versicherungsvertrag geschlossen haben – für die Bevölkerung, die da ist. Das ist gut so. Wir wissen ja bei der Ge- burt nicht, ob ein Kind einmal gut oder schlecht verdienen wird. Die Kinder sind also schon drin in diesem Vertrag. Die Migranten aber nicht. Deswegen ist die Idee, dass jede Migration die Pensionssysteme entlastet, so nicht richtig.
Wann ist diese Idee richtig? Nur die Migration derjenigen, die besonders gut ausgebildet sind und verdienen, entlastet auch das Sozialsystem. Deswegen suchen sich Länder, die die Zuwanderung steuern, auch genau diese Leute aus. Der ideale Migrant ist 25 Jahre alt, hat Abitur und ist schon zum Arzt oder Ingenieur ausgebildet.
Kann der Staat durch Integration und Ausbildung nachhelfen? Im Einzelfall sicher. Kriegsflüchtlinge, wie wir sie jetzt im großen Umfang haben, brauchen aber wesentlich länger bei der Integration als Wirtschaftsflüchtlinge. Das ist freilich kein Wunder. Und Kriegsflüchtlinge nimmt man ja aus humanitären Gründen. Das ist völlig okay so. Aber man muss auch offenlegen, dass es nicht darum geht, den Sozialstaat zu entlasten. Natürlich kann der Staat vieles tun. Etwa im Arbeitsrecht.
Sie warnen vor einer Staatspleite Italiens. Wie akut ist das? Ich glaube nicht, dass das kurzfris- tig kommt. Aber Italien hat einen sehr hohen Schuldenstand und leidet unter schwachem Wachstum. Jetzt wird die Neuverschuldung noch mal erhöht und in der Wirtschaftspolitik hat die neue Regierung den Pfad ihrer Vorgänger verlassen. Wir haben in Italien einen Arbeitsmarkt, in dem die, die einen Job haben, gut beschützt sind, und die anderen nicht hineinkommen. Das führt dazu, dass viele junge Menschen bei Mama und Papa wohnen, bis sie 35 sind. An den Finanzmärkten steigt jetzt wieder das Misstrauen, und irgendwann droht die Stimmung zu kippen.
Haben wir nicht inzwischen Institutionen geschaffen, die Italien helfen können? Die Rettungsschirme und Ankaufprogramme gelten nicht für Italien in dieser Situation, in der die Regierung sagt, dass sie die europäischen Fiskalregeln ablehnt und nicht einhalten will.
Dabei hat Italien ja viele Reformen gemacht, oder? Im Rentensystem in Italien gab es Leistungskürzungen. Der Sozialstaat ist insgesamt relativ wenig ausgebaut. Aber da muss man fragen: Kann man das durchhalten? Die neue Regierung hat ja schon angekündigt, die Pensionen wieder erhöhen zu wollen.