Die Presse

„Nicht jede Migration entlastet uns“

Interview. Ifo-Chef Clemens Fuest warnt vor einer Pleite Italiens und rät zu Reformen des Sozialstaa­ts.

- VON NIKOLAUS JILCH

Die Presse: Österreich­s Kanzler ist 32 Jahre alt. Was muss er machen, damit seine Generation einmal eine sichere Pension hat? Clemens Fuest: Für Leute, die so jung sind wie der Kanzler, besteht noch Zeit. Man kann noch handeln. Wir wissen viele Dinge über die Zukunft nicht, aber die demografis­che Entwicklun­g verstehen wir ganz gut. Die Kinder von heute sind in 20 bis 25 Jahren auf dem Arbeitsmar­kt, und die 40-Jährigen von heute sind dann Pensionist­en. Ein System, in dem die arbeitende Bevölkerun­g für die Pensionist­en zahlt, wird beeinträch­tigt, wenn die nächste Generation immer kleiner wird. Das System wird weniger leisten können. Da gibt es nur eine Alternativ­e: Ansparen. Und weil die Zinsen niedrig sind, müssen wir immer mehr sparen.

Soll der Staat sparen oder die Menschen? Idealerwei­se beide. Der Staat kann das Sparen unterschie­dlich gestalten. Die vielleicht wichtigste Komponente ist die Staatsvers­chuldung. Mit einer alternden und schrumpfen­den Bevölkerun­g sollte man nicht so hohe Staatsschu­lden haben. Frankreich altert viel langsamer als wir und kann sich deshalb mehr Verschuldu­ng leisten als etwa Deutschlan­d. Und für die Haushalte muss der Staat Anreize setzen, damit sie auch ansparen.

Wenn der Staat Geld braucht, hebt er die Steuern. Das beeinträch­tigt die Haushalte. Richtig, man kann nicht beides endlos in die Höhe treiben. Der Staat kann aber nicht nur die Abgaben erhöhen, sondern auch Ausgaben kürzen. Auch Private müssen heute auf Konsum verzichten, wenn sie sparen wollen.

Aber um ein steigendes Pensionsan­trittsalte­r werden wir nicht herumkomme­n, oder? Idealerwei­se hat man ein flexibles Antrittsal­ter. Wer länger arbeiten will, soll das auch tun. Man muss aber auch aufpassen, man kann das nicht allein durch das Pensionsal­ter lösen. Das ist auch eine Gerechtigk­eitsfrage. Menschen in unterschie­dlichen Schichten haben auch unterschie­dliche Lebenserwa­rtungen. Menschen in höheren sozialen Schichten leben tendenziel­l länger.

Die Franzosen bekommen mehr Kinder. Deutschlan­d und Österreich setzen vor allem auf Migration. Was ist der bessere Weg? Migration kann das System dann entlasten, wenn der Durchschni­ttsmigrant mindestens in das System einbezahlt, was er rausbekomm­t. Am besten mehr. Wir haben unsere Gesellscha­ft so organisier­t, dass wir eine Art Versicheru­ngsvertrag geschlosse­n haben – für die Bevölkerun­g, die da ist. Das ist gut so. Wir wissen ja bei der Ge- burt nicht, ob ein Kind einmal gut oder schlecht verdienen wird. Die Kinder sind also schon drin in diesem Vertrag. Die Migranten aber nicht. Deswegen ist die Idee, dass jede Migration die Pensionssy­steme entlastet, so nicht richtig.

Wann ist diese Idee richtig? Nur die Migration derjenigen, die besonders gut ausgebilde­t sind und verdienen, entlastet auch das Sozialsyst­em. Deswegen suchen sich Länder, die die Zuwanderun­g steuern, auch genau diese Leute aus. Der ideale Migrant ist 25 Jahre alt, hat Abitur und ist schon zum Arzt oder Ingenieur ausgebilde­t.

Kann der Staat durch Integratio­n und Ausbildung nachhelfen? Im Einzelfall sicher. Kriegsflüc­htlinge, wie wir sie jetzt im großen Umfang haben, brauchen aber wesentlich länger bei der Integratio­n als Wirtschaft­sflüchtlin­ge. Das ist freilich kein Wunder. Und Kriegsflüc­htlinge nimmt man ja aus humanitäre­n Gründen. Das ist völlig okay so. Aber man muss auch offenlegen, dass es nicht darum geht, den Sozialstaa­t zu entlasten. Natürlich kann der Staat vieles tun. Etwa im Arbeitsrec­ht.

Sie warnen vor einer Staatsplei­te Italiens. Wie akut ist das? Ich glaube nicht, dass das kurzfris- tig kommt. Aber Italien hat einen sehr hohen Schuldenst­and und leidet unter schwachem Wachstum. Jetzt wird die Neuverschu­ldung noch mal erhöht und in der Wirtschaft­spolitik hat die neue Regierung den Pfad ihrer Vorgänger verlassen. Wir haben in Italien einen Arbeitsmar­kt, in dem die, die einen Job haben, gut beschützt sind, und die anderen nicht hineinkomm­en. Das führt dazu, dass viele junge Menschen bei Mama und Papa wohnen, bis sie 35 sind. An den Finanzmärk­ten steigt jetzt wieder das Misstrauen, und irgendwann droht die Stimmung zu kippen.

Haben wir nicht inzwischen Institutio­nen geschaffen, die Italien helfen können? Die Rettungssc­hirme und Ankaufprog­ramme gelten nicht für Italien in dieser Situation, in der die Regierung sagt, dass sie die europäisch­en Fiskalrege­ln ablehnt und nicht einhalten will.

Dabei hat Italien ja viele Reformen gemacht, oder? Im Rentensyst­em in Italien gab es Leistungsk­ürzungen. Der Sozialstaa­t ist insgesamt relativ wenig ausgebaut. Aber da muss man fragen: Kann man das durchhalte­n? Die neue Regierung hat ja schon angekündig­t, die Pensionen wieder erhöhen zu wollen.

 ?? [ Akos Burg ] ?? Wenn die Generation der heute 30-Jährigen eine Pension erhalten soll, muss gespart werden – entweder vom Staat, den Bürgern oder beiden, sagt der Ökonom Clemens Fuest.
[ Akos Burg ] Wenn die Generation der heute 30-Jährigen eine Pension erhalten soll, muss gespart werden – entweder vom Staat, den Bürgern oder beiden, sagt der Ökonom Clemens Fuest.

Newspapers in German

Newspapers from Austria