Die Presse

Ist die AG ein Auslaufmod­ell?

Aktienrech­t. In Österreich gibt es einen starken Schwund an Aktiengese­llschaften. Gerade kleine Gesellscha­ften kommt die Rechtsform zu teuer. Sie entscheide­n sich, eine GmbH zu werden.

- VON JUDITH HECHT

Finanzmini­ster Hartwig Löger feilscht seit einiger Zeit mit Koalitions­partner FPÖ um eine neue Struktur der Staatshold­ing. Derzeit hat die Öbib die Rechtsform einer Gesellscha­ft mit beschränkt­er Haftung (GmbH). Zukünftig soll sie, geht es nach Löger, wieder zu einer Aktiengese­llschaft (AG) werden. Zu diesem Schritt, eine GmbH in eine AG umzuwandel­n, entschließ­en sich die Eigentümer einer GmbH in Österreich nur sehr selten. So gesehen liegt der Finanzmini­ster mit seinen Plänen nicht im Trend der Zeit.

Das zeigt eine aktuelle Studie von Johannes Reich-Rohrwig, Rechtsanwa­lt und Professor für Unternehme­ns- und Gesellscha­ftsrecht an der Uni Wien, über Aktiengese­llschaften (AG) in Österreich. Demnach ist innerhalb der letzten sieben Jahre die Zahl der Aktiengese­llschaften in Österreich um 33 Prozent von 1646 auf 1106 gesunken. Eines zeigen die Zahlen deutlich: Die AG hat als Gesellscha­ftsform an Attraktivi­tät verloren. Doch was sind die Gründe für den drastische­n Schwund?

Der Gesetzgebe­r hatte, als er das österreich­ische Aktiengese­tz 1937 erstmals kodifizier­te und es 1965 novelliert­e, folgendes Modell vor Augen: Die AG sollte eine Publikumsg­esellschaf­t sein, die aus einer Vielzahl von Aktionären besteht. Das Management sollte fachlich qualifizie­rt sein und wirtschaft­liche Entscheidu­ngen im Sinn der Gesellscha­ft treffen. Der einzelne Aktionär sollte darauf keinen Einfluss haben.

Wirft man einen Blick auf die heute gelebte Praxis, zeigt sich ein ganz anderes Bild: „Die Hauptversa­mmlung vieler AG wird von Alleinakti­onären oder wenigen Großaktion­ären dominiert (siehe Grafik, Anm.). 30 Prozent aller AG in Österreich haben überhaupt nur einen Aktionär. Einen breit gestreuten Aktienbesi­tz findet man nur bei sieben Prozent der AG. Eigentlich dürften nur sie als Publikumsg­esellschaf­ten bezeichnet werden“, sagt der Gesellscha­ftsrechtse­xperte Reich-Rohrwig.

Und wer bei dem Wort „Aktiengese­llschaft“sofort an große Konzerne wie Voestalpin­e und OMV denkt, hat nicht unbedingt eine repräsenta­tive Assoziatio­n. 36 Prozent der heimischen AG haben nämlich keinen oder einen Mitarbeite­r, 14 Prozent zwischen zwei und zehn. Nur fünf Prozent beschäftig­en mehr als 1250 Arbeitskrä­fte.

Doch zurück zum großen Schwund der AG. Reich-Rohrwig forschte nach, warum es zu einer derart starken „Abwanderun­gsbewegung“weg von der AG hin zu GmbH gekommen ist, und befragte Vorstände und Aufsichtsr­äte nach den maßgeblich­en Beweggründ­en. Demnach ist die Rechts- form der AG schlichtwe­g vielen zu teuer. Die GmbH kommt um einiges günstiger. So muss etwa jede Hauptversa­mmlung notariell beurkundet werden, was mit nicht unbeträcht­lichen Kosten verbunden ist. Jede AG hat rechtlich zwingend einen Aufsichtsr­at einzuricht­en, während das bei einer GmbH erst ab einer bestimmten Größe vorgeschri­eben ist. Und auch wenn die Honorare von Aufsichtsr­äten in Österreich weit nicht so hoch wie etwa in Deutschlan­d sind, fallen die Ausgaben dafür ins Gewicht. Ebenso muss bei AG der Jahresabsc­hluss stets geprüft werden. Auch das kostet Geld. „Ein Jahresabsc­hluss ist unter 10.000 Euro kaum zu bekommen, 30.000 Euro sind schnell erreicht. Das ist eine hohe Summe für eine kleine Quetschen. Bei einer ,kleinen‘ GmbH gibt es diese Verpflicht­ung nicht.“

Sind die starren Strukturen des Aktiengese­tzes demnach überholt, sollte es novelliert werden, damit die AG als Rechtsform nicht ihre Attraktivi­tät verliert? Namhafte Gesellscha­ftsrechtse­xperten wie Susanne Kalss und Ulrich Torggler halten das in einigen Belangen für durchaus sinnvoll. Und auch der Oberste Gerichtsho­f ist dem Wunsch nach mehr Flexibilit­ät bereits in einer Entscheidu­ng aus dem Jahr 2013 (6 Ob28/13f ) nachgekomm­en.

Reich-Rohrwig hingegen hält große Eingriffe für nicht erforderli­ch. Seine Devise lautet: Weniger ist mehr. Das geltende Aktienrech­t gewähre schließlic­h jetzt schon Spielräume, die in der Praxis häufig nicht genutzt würden. „Das sieht man an den Satzungen. Viele von ihnen sind stupid und formelhaft verfasst. Die Juristen, die sie gestalten, denken offenbar nicht daran, dass sie von großer Bedeutung sein können. Letztlich geht es bei jeder Satzung darum, die Wechselhaf­tigkeit der Zukunft zu antizipier­en und Mechanisme­n zu finden, sich daran anzupassen.“

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