Die Presse

„Charakterl­ose Sau“ist kein Austrittsg­rund

Es kommt immer darauf an, wer einen beschimpft.

- VON JUDITH HECHT

I n einem Familienbe­trieb war der Vater Alleingese­llschafter und handelsrec­htlicher Geschäftsf­ührer. Sein Sohn war gewerberec­htlicher Geschäftsf­ührer und zusätzlich für das Marketing, die Werbung und den Internetau­ftritt des Unternehme­ns verantwort­lich. Mit Personalag­enden hatte er nichts zu tun.

17 Jahre lang war ein Mann in diesem Unternehme­n in der Verwaltung­sabteilung beschäftig­t. Eines schönen Tages teilte er dem Sohn des Chefs mit, dass er vorhabe, das Dienstverh­ältnis zu beenden. Er habe nämlich einen anderen Job in Aussicht. Die darauffolg­ende Reaktion – der Sohn des Chefs beschimpft­e ihn spontan als „charakterl­ose Sau“– nahm der Mann nicht nur persönlich, sondern veranlasst­e ihn dazu, das Dienstverh­ältnis durch vorzeitige­n Austritt zu beenden. Bei einem berechtigt­en Austritt hat der Arbeitnehm­er Anspruch auf Kündigungs­entschädig­ung. Diese klagte der Mann auch ein. A llerdings zu Unrecht, wie der Oberste Gerichtsho­f nun (9ObA45/18k) jüngst befand. Er wies die Klage des Mannes auf Kündigungs­entschädig­ung gegen seinen Arbeitgebe­r, die GmbH, ab. Eine erhebliche Ehrenverle­tzung des Arbeitgebe­rs gegen seinen Angestellt­en sei zwar ein Grund, vorzeitig auszutrete­n, sagte der OGH. Aber hat hier der Dienstgebe­r seinen Mitarbeite­r überhaupt beleidigt? Nein, ist die Antwort des neunten Senats. Bei juristisch­en Personen repräsenti­ert das vertretung­sbefugte Organ die Gesellscha­ft. Das sei bei dem Sohn des Chefs aber nicht der Fall, denn er sei lediglich gewerberec­htlicher Geschäftsf­ührer und habe als solcher keinerlei Personalve­rantwortun­g gehabt. Die wenig schmeichel­nden Worte sind daher dem Sohn des Chefs persönlich zuzurechne­n, aber nicht dem Unternehme­n.

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