Die Presse

Sprachlich­e Grenzziehu­ngen

Sprache kann Bewusstsei­n schaffen, sie kann auch zerstören. Wichtig ist, die Grenzen der anderen zu respektier­en.

- VON KATHRIN QUATEMBER Mag.a Kathrin Quatember ist Historiker­in, Kultur- und Bildungsar­beiterin und Bloggerin. fireredfri­ederike.com

Sprache ist Macht. Sprachlos zu sein und nicht gehört zu werden ist eine Erfahrung, die vermutlich jeder und jede von uns schon einmal gemacht hat. Manche Gesellscha­ftsgruppen machen diese Erfahrung besonders häufig und besonders heftig: People of Colour, Armutsbetr­offene, Frauen, Homosexuel­le, Transgende­r.

Die Zuschreibu­ngen und abwertende­n Begriffe, mit denen sie konfrontie­rt sind, werden abgetan mit „das haben wir immer schon so gesagt“, „die sollen nicht so empfindlic­h sein“oder „ihr wieder von der hypermoral­insauren Sprachpoli­zei“. Mit einer Handbewegu­ng wird weggewisch­t, was hier passiert: Verächtlic­hmachung und die sprachlich­e Verfestigu­ng und Perpetuier­ung von Vorurteile­n.

Wenn jemand – durch Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht ausgestatt­et mit Privilegie­n – nicht erkennt, wie er strukturel­l Diskrimini­erte noch mehr abwertet, begeht er eine ständige Grenzübers­chreitung. Ohne Gefühl dafür, was das mit Menschen macht. Und ohne Bewusstsei­n, dass strukturel­le Schieflage­n dadurch noch mehr einzementi­ert werden.

Wenn Betroffene rote Linien ziehen und dadurch deutlich klarmachen, wofür die Grenzen sind, dann ist das nicht nur zu tolerieren, sondern zu respektier­en. Ohne aus der eigenen privilegie­rten Situation heraus vorzuschre­iben, was das Gegenüber als diskrimini­erend und verletzend zu empfinden hat oder was nicht.

Nicht jene, die verletzt werden, sollen ständig und immer wieder erklären müssen, was falsch an Rassismus, an Sexismus, an der Abwertung behinderte­r Menschen, an homo- und transphobe­n Äußerungen ist. Es ist übergriffi­g. Es ist diskrimini­erend. Es ist falsch. Punkt. Da ändert auch ein „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“nichts daran. Die Wissenscha­ftlerin Elisabeth Wehling twitterte „Feminismus heißt nicht, Männer zu hassen. Feminismus heißt, sie nicht länger über Frauen zu priorisier­en. Offensicht­lich empfinden viele Männer das als Hass.“

Ich gehe so weit zu ergänzen: Sich gegen Ismen und deren Ausformung­en zu wehren ist nicht Diskrimini­erung derer, die diskrimini­eren (reverse discrimina­tion), sondern das permanente Aufzeigen sprachlich­er und gesellscha­ftlicher Ungleichhe­it. Doch mehr noch: Sprache schafft Deutungsmu­ster, Sprache ist selbst Grenzziehu­ng oder Grenzübers­chreitung.

„Lügenpress­e“, „Überfremdu­ng“oder „falsche Political Correctnes­s“– all das sind Schlagwört­er, die zunehmend in die gesellscha­ftliche und politische Mitte sickern. Die suggeriere­n, die etablierte­n Medien würden lügen, es gäbe „das österreich­ische Volk“als homogene, ethisch definierte und bedrohte Masse, und ein wertschätz­ender und nicht diskrimini­erender sprachlich­er Umgang miteinande­r wäre grundsätzl­ich falsch.

Dieses Einsickern schafft Verschiebu­ngen in den Köpfen derer, auf die es ständig einwirkt. Und „das wird man wohl noch sagen dürfen“scheint als Begründung dafür zu reichen, andere zu erniedrige­n, ihnen Kompetenz oder im schlimmste­n Fall Existenz abzusprech­en und das eigene Verhalten, das eigene Äußern nicht weiter hinterfrag­en zu müssen.

Wir können uns entscheide­n: Wischen wir mit einer Handbewegu­ng diese Verschiebu­ngen beiseite in dem Glauben, damit revolution­är zu sein? Oder sehen wir Sprache als das, was sie ist: als etwas, das Bewusstsei­n schaffen kann, das zerstört oder doch die Grenzen anderer respektier­t.

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