Sprachliche Grenzziehungen
Sprache kann Bewusstsein schaffen, sie kann auch zerstören. Wichtig ist, die Grenzen der anderen zu respektieren.
Sprache ist Macht. Sprachlos zu sein und nicht gehört zu werden ist eine Erfahrung, die vermutlich jeder und jede von uns schon einmal gemacht hat. Manche Gesellschaftsgruppen machen diese Erfahrung besonders häufig und besonders heftig: People of Colour, Armutsbetroffene, Frauen, Homosexuelle, Transgender.
Die Zuschreibungen und abwertenden Begriffe, mit denen sie konfrontiert sind, werden abgetan mit „das haben wir immer schon so gesagt“, „die sollen nicht so empfindlich sein“oder „ihr wieder von der hypermoralinsauren Sprachpolizei“. Mit einer Handbewegung wird weggewischt, was hier passiert: Verächtlichmachung und die sprachliche Verfestigung und Perpetuierung von Vorurteilen.
Wenn jemand – durch Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht ausgestattet mit Privilegien – nicht erkennt, wie er strukturell Diskriminierte noch mehr abwertet, begeht er eine ständige Grenzüberschreitung. Ohne Gefühl dafür, was das mit Menschen macht. Und ohne Bewusstsein, dass strukturelle Schieflagen dadurch noch mehr einzementiert werden.
Wenn Betroffene rote Linien ziehen und dadurch deutlich klarmachen, wofür die Grenzen sind, dann ist das nicht nur zu tolerieren, sondern zu respektieren. Ohne aus der eigenen privilegierten Situation heraus vorzuschreiben, was das Gegenüber als diskriminierend und verletzend zu empfinden hat oder was nicht.
Nicht jene, die verletzt werden, sollen ständig und immer wieder erklären müssen, was falsch an Rassismus, an Sexismus, an der Abwertung behinderter Menschen, an homo- und transphoben Äußerungen ist. Es ist übergriffig. Es ist diskriminierend. Es ist falsch. Punkt. Da ändert auch ein „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“nichts daran. Die Wissenschaftlerin Elisabeth Wehling twitterte „Feminismus heißt nicht, Männer zu hassen. Feminismus heißt, sie nicht länger über Frauen zu priorisieren. Offensichtlich empfinden viele Männer das als Hass.“
Ich gehe so weit zu ergänzen: Sich gegen Ismen und deren Ausformungen zu wehren ist nicht Diskriminierung derer, die diskriminieren (reverse discrimination), sondern das permanente Aufzeigen sprachlicher und gesellschaftlicher Ungleichheit. Doch mehr noch: Sprache schafft Deutungsmuster, Sprache ist selbst Grenzziehung oder Grenzüberschreitung.
„Lügenpresse“, „Überfremdung“oder „falsche Political Correctness“– all das sind Schlagwörter, die zunehmend in die gesellschaftliche und politische Mitte sickern. Die suggerieren, die etablierten Medien würden lügen, es gäbe „das österreichische Volk“als homogene, ethisch definierte und bedrohte Masse, und ein wertschätzender und nicht diskriminierender sprachlicher Umgang miteinander wäre grundsätzlich falsch.
Dieses Einsickern schafft Verschiebungen in den Köpfen derer, auf die es ständig einwirkt. Und „das wird man wohl noch sagen dürfen“scheint als Begründung dafür zu reichen, andere zu erniedrigen, ihnen Kompetenz oder im schlimmsten Fall Existenz abzusprechen und das eigene Verhalten, das eigene Äußern nicht weiter hinterfragen zu müssen.
Wir können uns entscheiden: Wischen wir mit einer Handbewegung diese Verschiebungen beiseite in dem Glauben, damit revolutionär zu sein? Oder sehen wir Sprache als das, was sie ist: als etwas, das Bewusstsein schaffen kann, das zerstört oder doch die Grenzen anderer respektiert.