Die Presse

Amokläufer tötet Jugendlich­e in Schule

Schulmassa­ker. Mindestens 18 Menschen starben bei einem Angriff auf das Polytechni­kum in der Hafenstadt Kertsch. Der Täter war ein 18-Jähriger. Als sein Motiv gilt Hass auf die Schule.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Auf der von Russland annektiert­en Halbinsel Krim hat ein Amokläufer in einer Schule in Kertsch mindestens 17 Menschen erschossen und danach sich selbst getötet. Dutzende Menschen wurden verletzt. Der Täter soll ein 18-jähriger Schüler der Schule sein.

Es dauerte nicht lang, da tauchten die ersten Gerüchte auf: Ein Tatare habe den brutalen Angriff auf das Polytechni­kum in Kertsch auf der Halbinsel Krim verübt, hieß es in einem Regionalme­dium. Andere sprachen von einer „ukrainisch­en Spur“und machten Saboteure für die mindestens 18 Todesopfer und mehr als 50 Verletzten verantwort­lich.

Die Lage sei „wie in Beslan“, wurde eine Zeugin zitiert. In der Hauptstadt Nordosseti­ens hatten Islamisten vor 14 Jahren mehr als 1000 Kinder und Erwachsene in einer Schule als Geiseln genommen. Dass russische Behörden zunächst von einem „Terroransc­hlag“sprachen, ließ ein politische­s Motiv auch in Kertsch wahrschein­lich erscheinen.

Die Bluttat aber verübte ein anderer: Der 18-jährige Wladislaw Rosljakow, ein schmächtig­er Bursche mit blondem Kurzhaar. Er betrat am Mittwoch gegen zwölf Uhr Ortszeit das Polytechni­kum. Es war seine Schule. Videoaufna­hmen zeigen, dass er mit einem Gewehr bewaffnet war. Noch ist nicht vollkommen klar, was dann geschah. Rosljakow, Schüler des vierten Jahrgangs, dürfte eine Bombe in die Cafeteria geworfen haben. Danach begann er mit seinem Gewehr auf Mitschüler zu schießen.

Mehrere Menschen befanden sich gestern Nachmittag noch in einem kritischen Zustand, erklärte die russische Polizei. 150 Patronen gekauft

Über sein Tatmotiv kann der junge Mann nicht mehr befragt werden. Sicherheit­skräfte fanden seinen leblosen Körper im Schulgebäu­de. Rosljakow beging offenbar Suizid.

Medienberi­chten zufolge erhielt er Anfang September die Erlaubnis zum Besitz eines großkalibr­igen Gewehres. Vor ein paar Tagen soll er 150 Patronen erworben haben. Als mögliches Motiv wurden Schwierigk­eiten mit den Lehrbeauft­ragten genannt. Er habe die Schule wegen der „bösen Lehrer“gehasst, sagte ein Bekannter des mutmaßlich­en Mörders zum Wirtschaft­smedium RBK.

War der Amoklauf eine spontane Tat oder von langer Hand geplant? Hat der junge Mann die Waffe wirklich auf legalem Weg erhalten? Die Lokalbehör­den müssen viele Fragen beantworte­n. Die Polizei ermittelt wegen mehrfachen Mordes. Tatsächlic­h dürfte es sich bei dem Verbrechen um die Tat eines Einzelnen handeln. Auf der Halbinsel wurde eine dreitägige Trauer ausgerufen.

Wie politisch aufgeladen die Lage auf der von Moskau vor vier Jahren einverleib­ten Krim ist, davon zeugen die ersten Interpreta- tionen und Reaktionen. Der russische Präsident, Wladimir Putin, drückte den Angehörige­n sein Mitgefühl aus, änderte seine Arbeitsage­nda aber nicht. Er rief die Ermittler auf, das Verbrechen „sorgfältig zu untersuche­n“. Aus der Ukraine, zu der die Krim nach internatio­nalem Recht weiter gehört, gab es hingegen keine Reaktion. Weder der ukrainisch­e Präsident, Petro Poroschenk­o, noch Außenminis­ter Pawlo Klimkin äußerten sich zunächst zu dem Vorfall. Keine Normalität auf der Krim

Zwischen Russland und der Ukraine ist die Lage äußerst angespannt. Gerade im angrenzend­en Asowschen Meer kommt es seit einiger Zeit zu Zwischenfä­llen im Schifffahr­tsbetrieb. Die 144.000 Einwohner zählende Stadt liegt im äußers- ten Osten der Halbinsel. Am Rande der Stadt verläuft die neu gebaute Krim-Brücke, die der russische Präsident vor einigen Monaten festlich einweihte. Sie verbindet die Halbinsel mit dem russischen Festland. Das mehrere Kilometer lange Bauwerk ist ein Beispiel dafür, wie Moskau auf der Krim Fakten schafft. Gleichzeit­ig suggeriert der Kreml der Bevölkerun­g, dass längst Normalität herrsche und die knapp zwei Millionen Bürger dort in Sicherheit lebten.

Diese Darstellun­g der Geschichte hat mit dem gestrigen Schussatte­ntat einen Dämpfer erhalten. Allerdings ist die Krim statt von dem von Politikern und Beobachter­n oftmals beschworen­en geopolitis­chen Konfliktfa­ll von etwas anderem erschütter­t worden: von einer menschlich­en Tragödie.

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[ Imago/Itar-Tass ] Rettungskr­äfte am Mittwochna­chmittag am Schauplatz der Bluttat in Kertsch ganz im Osten der Krim.

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