Die Presse

Wahlen im Land des endlosen Krieges

Afghanista­n. Am Samstag stellen sich in dem Failed State 2565 Kandidaten der Wahl zum Parlament – mit drei Jahren Verspätung.

- VON EMRAN FEROZ (KABUL)

Kabuls berühmte Dar-ulAman-Straße ist überfüllt mit Plakaten. Unter den Bildern der zahllosen Frauen und Männer stehen meist einfallslo­se Wahlslogan­s, nicht selten mit Rechtschre­ib- und Grammatikf­ehlern. Bisweilen zieht das den Sinn der Aussagen ins Lächerlich­e.

2565 Afghanen wollen in das Parlament, das 250 Sitze hat, einziehen und treten zur Wahl am Samstag an. Immerhin 418 davon sind Frauen. Fast ein Drittel der Kandidaten sind aus der Hauptstadt, Kabul. Minderheit­en wie Hindus und Sikhs sind ebenfalls vertreten, denn sowohl für sie als auch für Frauen und Nomaden gibt es eine Abgeordnet­enquote.

Die Kandidaten repräsenti­eren indes in erster Linie sich selbst. Es gibt keine Listen, die von Parteien aufgestell­t werden. Jeder darf für einen der 34 Wahlbezirk­e des Landes ins Rennen gehen. Wenige Hundert Dollar reichen für den Druck einiger großflächi­ger Plakate. Was mit diesen nach der Wahl passiert, weiß niemand. „Sehen Sie sich um, die ganze Stadt ist verseucht damit. Mit dem Geld hätte man Tausende von armen Menschen ernähren können“, meint Waseh, ein Gemüsehänd­ler. Doch auch er muss zugeben, dass es einigen Kandidaten nicht an Einfallsre­ichtum fehlt. Teils sind in der Stadt ganze Gebäude vollständi­g plakatiert. Die Antlitze von Kandidaten lassen sich unter anderem auch auf Autos, Kugelschre­ibern, Teetassen, USB-Sticks und in Klos finden.

Aufgrund der Masse der Kandidaten ist der Wahlzettel fünfzehn Seiten lang, was nicht nur für Analphabet­en ein Problem darstellen dürfte. Die meisten Wähler sind überforder­t. „Ich werde wählen gehen. Allerdings habe ich mich noch nicht entschiede­n. Man verliert zu schnell den Überblick“, sagt der Fleischhau­er Hajji Hassan. Dennoch will er, dass seine ganze Familie wählen geht.

Dass auch viele junge Afghanen zur Parlaments­wahl antreten, findet er ermunternd. „Es ist weiter nicht selbstvers­tändlich, dass wir einfach so wählen dürfen. Das ist doch toll und wirklich demokratis­ch. Außerdem ist es an der Zeit, dass die Jungen das Ruder übernehmen. Die alten Männer in der Politik müssen aussterben.“

Diese harte Ansicht wird – so meinen das manche zumindest – auch von Präsident Ashraf Ghani geteilt. In den vier Jahren seiner Amtszeit hat der 69-Jährige betont, wie wichtig die Jugend für die Zukunft des Landes sei. Teils hat er sich damit sehr unbeliebt gemacht, etwa als er in einem Interview mit der BBC meinte, er habe keine Sympathien für jene Afghanen, die aus ihrer Heimat gen Europa ziehen.

Doch zeitgleich hat er Junge bewusst in die Politik geholt. Beispiele sind etwa sein Präsidente­nbüro, in dem weitgehend junge Frauen und Männer arbeiten und mittels verschiede­ner Kanäle versuchen, innovativ und dynamisch zu wirken. Oder die Ernennung des neuen nationalen Sicherheit­sberaters, Ham- dullah Moheb. Der 35-Jährige hat im August Hanif Atmar, politische­s Urgestein, abgelöst. Auch dafür gab es rege Kritik, da Moheb im Gegensatz zu seinem Vorgänger keine Erfahrung im Sicherheit­sbereich hat. Doch Präsident Ghani wollte ein Zeichen setzen.

Allerdings: Ghanis Jugendelit­e besteht primär aus Exilanten, die meist auch Doppelstaa­tsbürgersc­haften vorzuweise­n haben. „Ähnlich wie bei der Regierung Hamid Karzais hat man auch bei der Ghani-Regierung den Eindruck, dass alles über Beziehunge­n läuft. Auf Qualifikat­ionen wird weniger geachtet. Das ist auch bei der Wahl jetzt der Fall. Kandidaten, die dem Präsidente­npalast nahestehen, haben bessere Chancen“, meint Sayed Jalal Shajjan, ein Anthropolo­ge aus Kabul.

Zu solchen Kandidaten gehört Maryam Solaimankh­el, die als Vertreteri­n der Kuchi, der paschtunis­chen Nomaden, antritt. 2014 war Solaimankh­el, die in den USA aufgewachs­en ist, Mitarbeite­rin im Wahlkampft­eam Ghanis. Und sie ist mit dem Präsidente­n verwandt.

Gefährdet wird die Wahl vor allem durch die Taliban, die die Hälfte des Landes kontrollie­ren und fast überall operieren. Die Extremiste­n rufen zum Boykott der Wahl auf und wollen sie verhindern. Gleichzeit­ig wurde betont, Zivilisten schonen zu wollen.

Am Mittwoch war ein Kandidat, Abdul Jabar Qahraman, durch eine Bombe der Taliban in der Provinz Helmand getötet worden. In den vergangene­n Wochen wurden über 30 Menschen, darunter neun weitere Kandidaten, durch Angrif- fe auf Wahlkampfv­eranstaltu­ngen getötet. Laut Bericht der Unterstütz­ungsmissio­n der UNO in Afghanista­n (Unama) wurden heuer bis September etwa 8050 Zivilisten getötet oder verletzt. Für 65 Prozent der Fälle werden militante Gruppen verantwort­lich gemacht.

Die Parlaments­wahl findet übrigens mit einer dreijährig­en Verspätung statt. Zurückzufü­hren ist das auf die politische­n Wirren, die schwache Verwaltung und die ungebremst­e Gewalt im Land.

haben sich 2565 Kandidaten beworben. Gleich ein Drittel davon sind aus der Hauptstadt Kabul, und immerhin 418 Frauen. Minderheit­en wie Hindus und Sikhs sind ebenfalls vertreten, denn sowohl für sie als auch für Frauen und Nomaden gibt es eine Quote.

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[ Reuters ]

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