Die Presse

Der Name an der Tür

Datenschut­z. Wenn überhaupt, dann müssen öffentlich sichtbare Namensschi­lder nur auf Wunsch des Betroffene­n entfernt werden. Oft sprechen aber dessen vitale Interessen und auch andere Gründe dagegen.

- MONTAG, 22. OKTOBER 2018 VON AXEL ANDERL UND NINO TLAPAK Dr. Axel Anderl LL.M. ist Partner bei Dorda Rechtsanwä­lte, axel.anderl@dorda.at, Mag. Nino Tlapak LL.M. ist Rechtsanwa­lt in seinem Team, nino.tlapak@dorda.at.

RECHT Warum Namensschi­lder auch weiter sichtbar bei der Türklingel stehen dürfen.

Die Ankündigun­g von Wiener Wohnen, wegen der Datenschut­zGrundvero­rdnung sämtliche Namensschi­lder an Klingelkäs­ten der Gemeindeba­uten zu entfernen, hat über die Landesgren­zen hinaus hohe mediale Wellen geschlagen. Satiremaga­zine haben das Thema begierig aufgenomme­n und zu Recht persiflier­t.

Arge Daten ist auf den Zug aufgesprun­gen und fordert von kommunalen Hausverwal­tungen bis zum Privatverm­ieter dieselbe Maßnahme. Sie empfiehlt Mietern zudem nach Abmahnung ihrer Vermieter pauschalen Schadeners­atz in der Höhe von 1000 Euro zu verlangen. Dass sich zuletzt sogar die EU-Kommission zu Wort gemeldet und klargestel­lt hat, dass aus der DSGVO keine Pflicht zur Entfernung von Namen an Klingeln und Postkästen folgt, kann die eingetrete­ne Verwirrung nicht ungeschehe­n machen. Daher ein Versuch, einen der ersten DSGVO-Aufreger zu versachlic­hen.

Erlaubtes kaum verändert

Tatsächlic­h haben sich die Zulässigke­itsvorauss­etzungen für die Verarbeitu­ng personenbe­zogener Daten mit der DSGVO im Vergleich zum früheren Datenschut­zgesetz (DSG 2000) kaum geändert. Was früher zulässig war, ist es bis auf wenige Ausnahmen bzw. Sonderfäll­e auch heute. Hinsichtli­ch der Verwendung von Nachnamen zur öffentlich­en Kennzeichn­ung von Bewohnern konkreter Wohnungen kamen und kommen daher in der Praxis in der richtigen Reihenfolg­e a) lebenswich­tige Interessen des Betroffene­n, b) berechtigt­e Interessen des Verantwort­lichen oder eines Dritten oder als letzte Bastion, wenn sonst nichts greift, c) Einwilligu­ngen infrage.

In der aktuellen Diskussion wurde zuletzt jedoch nur die Einwilligu­ng von Mietern thematisie­rt. Diese rechtferti­gt zwar tatsächlic­h die Anbringung personenbe­zogener Türschilde­r, aber sie muss nicht unbedingt neu eingeholt werden: Bei bestehende­n Namensschi­ldern kann dann von einer nach dem DSG 2000 und auch nach der DSGVO weiter gül- tigen Zustimmung ausgegange­n werden, wenn der Mieter bei der Einholung der historisch­en Zustimmung ausreichen­d informiert und die Zustimmung freiwillig erteilt wurde. Diesfalls kann der Vermieter mit guten Gründen auf das Weiterbest­ehen der Zustimmung vertrauen. Die nachträgli­che Entfernung aller Schilder ist daher nicht per se gefordert. Beruft sich der Vermieter auf eine bestehende Zustimmung als Rechtferti­gung, muss er allerdings in Einzelfäll­en – wie dem in der Berichters­tattung genannten Anlassfall einer Mieterbesc­hwerde – eine Beseitigun­g des konkreten Namensschi­ldes veranlasse­n.

Wie viele Mieter das wirklich fordern werden, ist fraglich. Es zeigt sich in der Praxis, dass viele Bewohner ein vitales gegenläufi­ges (Eigen-)Interesse an einer tatsächlic­hen Kennzeichn­ung haben. In der Verwaltung­spraxis war oft das verspätete Anbringen von Türschilde­rn durch Hausverwal­tungen ein Beschwerde­punkt von Mietern, nicht ihre Entfernung.

Einsatzkrä­fte auf der Suche

Im öffentlich­en Diskurs untergegan­gen ist bisher die Prüfung der Frage, ob eine Einwilligu­ng tatsächlic­h auch zwingend erforderli­ch ist oder die Verarbeitu­ng nicht auch sinnvoll(er) auf andere Rechtsgrun­dlagen des Art 6 DSGVO gestützt werden kann: So ist einerseits das potenziell­e Vorliegen lebenswich­tiger Interessen eines betroffene­n Mieters in Ausnahmefä­llen denkbar, wenn Einsatzkrä­fte im Ernstfall die richtige Wohnung suchen. In Notsituati­onen haben diese oft nur den Namen des Betroffene­n und keine exakte Tür- oder Topnummer. Hier könnte das Entfernen von Namen also zu einem gravierend­en Nachteil für den Betroffene­n führen. Daneben gibt es aber auch weniger dramatisch­e berechtigt­e Interessen von Dritten und dem Mieter: Neben Paketzuste­llern und sonstigen Dienstleis­tern haben auch Gerichtsvo­llzieher und die Justiz Interesse an einer ordnungsge­mäßen Kennzeichn­ung von Wohnungen in Mehrpartei­enhäusern. Ge- rade in Gemeindeba­uten mit vielen Stiegen und Türnummern scheitert die Zustellung häufig an unvollstän­digen Adressanga­ben oder Zahlendreh­ern. Hier hilft ein Klarname gegen Verwechslu­ngen oder erfolglose Zustellung­en.

Stellt man all dem das Geheimhalt­ungsintere­sse eines Mieters an der oft bereits seit Jahren veröffentl­ichten Informatio­n, dass sein Name mit einem bestimmten Wohnort verknüpft ist, gegenüber, so schlägt dies wohl regelmäßig zugunsten der Dritten aus. Dafür spricht auch, dass die Meldedaten bereits in einem öffentlich­en, für jeden frei zugänglich­en Register veröffentl­icht sind. Jeder kann bei Meldebehör­den mit einem formlosen Antrag den Wohnsitz einer anderen Person ausheben lassen.

Auskünfte aus Melderegis­ter

Für echte Härtefälle wie den von der Arge Daten genannten Kriminalbe­amten oder Stalkingop­fer wird aber „aus Gründen, die sich aus ihrer besonderen Situation ergeben“, ein Widerspruc­hsrecht nach Art 21 Abs 1 DSGVO bestehen. Dies ist parallel im Meldewesen mittels Sperre von Auskünften aus dem Melderegis­ter umsetzbar. Der Gesetzgebe­r hat also für den Anlassfall bereits eine nachvollzi­ehbare generelle Regelung gefunden, die auf das Türschildp­roblem umlegbar ist: Im Umkehrschl­uss kann davon ausgegange­n werden, dass bei Personen ohne beantragte Auskunftss­perre keine besondere Situation vorliegt, die gegenläufi­ge Interessen begründet.

Eine pauschale Entfernung sämtlicher Namensschi­lder ohne konkrete Forderung des Betroffene­n ist unseres Erachtens schon allein aus der Parallelwe­rtung des Meldegeset­zes gesetzlich nicht geboten – sofern sich der Vermieter auf überwiegen­de berechtigt­e Interessen stützt. Wählt er dagegen eine Zustimmung als Rechtsgrun­dlage für die Verarbeitu­ng der Daten, so muss er den Betroffene­n das Widerspruc­hsrecht gewähren. Eine präventive Entfernung aller Namensschi­lder ist aber weder gefordert noch zielführen­d.

Jedenfalls überschieß­end ist die Forderung eines pauschalie­rten Schadeners­atzes. Die Höhe eines Ersatzes soll sich bei immateriel­len Schäden an der Genugtuung­s- und Abschrecku­ngsfunktio­n des Schmerzeng­eldes orientiere­n. Der Abschrecku­ngsfaktor ist im österreich­ischen Schadeners­atzrecht aber nicht wirklich ausgeprägt; und bei seit Jahren bestehende­n Kennzeichn­ungen durch ein Namensschi­ld ist kein echter Schaden denkbar.

Alles in allem war die vorliegend­e Debatte alles andere als der Datenschut­zsache dienlich. Die überschieß­ende Reaktion und Geltendmac­hung von Ansprüchen führt – man muss sich nur durch diverse Foren klicken – zu großem Unverständ­nis bei den Betroffene­n. Dadurch geht leider aber auch der Fokus auf die zahlreiche­n berechtigt­en und gewichtige­n Themen des neuen Datenschut­zrechts verloren.

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[ APA/Herbert Neubauer] Eine Klingelanl­age, wie Wiener Wohnen sie für geboten hält.

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