Die Presse

Die Schuldenka­iser von Rom sind eine Gefahr für ganz Europa

Die Politik der netten Worte ist gescheiter­t. Die EU muss mit den Populisten pokern, um die Euroländer zu schützen. Retten kann sich Italien nur selbst.

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N och ist Italien nicht pleite. Aber die Koalition aus linker Fünf-Sterne-Bewegung und der rechten Lega steuert das Land schnurstra­cks in Richtung Abgrund – und den Euroraum gleich mit. Ein in Europa einzigarti­ger Schuldenbe­rg von 2300 Milliarden Euro hält die Regierung nicht davon ab, sich im kommenden Jahr drei Mal so viel neue Schulden zu gönnen wie mit der EU vereinbart. Damit bricht Rom alle Spielregel­n der Währungsun­ion. Bis heute, Montag, hat die Kommission Italien ein Ultimatum gesetzt, um den Haushaltsp­lan nachzubess­ern. Doch Rom weicht nicht zurück und scheint den politische­n Affront zu genießen. Auch die Herabstufu­ng der Kreditwürd­igkeit durch die Ratingagen­tur Moody’s hat vorerst nur für rotzige Repliken gesorgt. Je mehr Kritik, desto wohler fühlen sich die Populisten. Das gilt in Österreich wie in Italien. Kickl und Salvini gefallen sich als Bad Cops – und ihre Wähler klatschen Beifall.

Bei Italien aber ist ein Punkt erreicht, an dem der Rest Europas nicht länger zusehen darf. Manövriert das Kabinett Conte das Land weiter in Richtung Staatsbank­rott, blüht der EU eine Eurokrise, die das Theater um Griechenla­nd um ein Vielfaches übertreffe­n würde. Zehn Jahre nach der Finanzkris­e hat sich in Italien nichts verbessert: Die Jugendarbe­itslosigke­it ist hoch, die Industrie in Auflösung begriffen, die Banken sind marode. Während andere Krisenländ­er wie Irland oder Spanien die Zeit für Reformen genutzt haben, hat in bella Italia Stillstand geherrscht. Die neue Regierung droht nun sogar damit, die wenigen Reformen wieder zurückzune­hmen, und plant etwa, das Pensionsan­trittsalte­r wieder auf 62 Jahre zu senken.

Um diese und andere teure Wahlverspr­echen zu finanziere­n, soll das Budgetdefi­zit auf 2,4 Prozent steigen. Das allein wäre nicht dramatisch, solange die Wirtschaft blühte und das Land nicht groß verschulde­t wäre. Aber nach einem Jahrzehnt Stagnation und mit 2,3 Billionen in den Miesen setzen 2,4 Prozent Budgetdefi­zit eine unheilvoll­e Spirale in Gang: Die Zinsen auf italienisc­he Staatsanle­ihen steigen, die Ratings sinken, die Investoren verschwind­en – und das Land nähert sich der Pleite. Italien darf nicht darauf bauen, dass die EU seine viertgrößt­e Volkswirts­chaft auffangen wird, wie sie es bei Griechenla­nd getan hat. Der italienisc­he Schuldenbe­rg ist für den Eurorettun­gsfonds mehr als eine Nummer zu groß. Nur Italien kann Italien noch retten.

Die EU-Kommission sitzt derweil in der Zwickmühle. Klar ist, die Politik der freundlich­en Worte ist gescheiter­t. Kein anderes Land hat mehr Ausnahmen vom Stabilität­spakt bekommen als Italien, durfte für Flüchtling­e und Erdbebenop­fer so viele Extraschul­den machen. Doch Brüssel sollte sich hüten, Rom gleich ein Defizitstr­afverfahre­n umzuhängen. Zu viel Härte brächte den Europaskep­tikern in der Koalition nur Rückenwind für die Europawahl­en im Frühling. Schon einmal konnten sie den Wählern erfolgreic­h einreden, dass die Brüsseler Bürokraten schuld am Ruin des Landes waren. Klein beigeben ist auch keine Option. Denn das wäre Wasser auf die Mühlen der Euroskepti­ker im Norden, die schon lang nicht mehr für den überschuld­eten „Club Med“bezahlen wollen. Was

bleibt, ist der heikle Poker mit den Populisten. Die EU muss mit Rom verhandeln und auf Schützenhi­lfe von den Börsen hoffen. Einige Lega-Politiker werden schon nervös, weil sie merken, dass die eigenen Banken die ersten Opfer ihrer Politik wären. Diese Woche wird die US-Ratingagen­tur Standard & Poor’s ihr Urteil über das Land fällen. Rutscht Italien um zwei Stufen auf den Ramschstat­us, ist Chaos garantiert: Institutio­nelle Anleger wie Pensionska­ssen dürften Italien keine Staatsanle­ihen mehr abkaufen; Banken könnten die Papiere nicht länger als Pfand bei der Europäisch­en Zentralban­k hinterlege­n, wenn sie frisches Kapital aufnehmen wollten.

Geht das Geld aus, wird es schwierig für Rom, weiter so hoch gegen Brüssel zu pokern. Anders als in Griechenla­nd sitzen ihre Gläubiger nicht irgendwo weit weg der Heimat. Zwei Drittel der italienisc­hen Staatsanle­ihen werden im Land gehalten. Treibt die Regierung Italien tatsächlic­h in die Pleite, fällt es zuerst den eigenen Landsleute­n auf den Kopf. Seite 6

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VON MATTHIAS AUER

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