Die Presse

Was die Kassenrefo­rm wirklich bringt

Sozialvers­icherungen. Die Reformplän­e werden heftig kritisiert. Nicht nur, weil sie verfassung­swidrig sein sollen, sondern auch, weil das angekündig­te Sparvolume­n bezweifelt wird.

- VON MARTIN FRITZL

Nach der heftigen Kritik des Rechnungsh­ofs am Gesetzesen­twurf zur Zusammenle­gung der Krankenkas­sen stellt sich die Frage: Welche finanziell­en Auswirkung­en haben die Regierungs­pläne tatsächlic­h?

Eine Milliarde Einsparung?

Die Regierungs­spitze hat bei der Präsentati­on der Pläne von Einsparung­en von einer Milliarde Euro bis zum Jahr 2023 gesprochen. Aufgeschlü­sselt wurde diese Rechnung aber nie. Aus dem So-

DIE ZUSAMMENLE­GUNG

Die geplante Reform. Die neun Gebietskra­nkenkassen sollen in der Österreich­ischen Gesundheit­skasse (ÖGK) aufgehen. Dazu kommen eine gemeinsame Kasse für Selbststän­dige und Bauern sowie ein Träger für den öffentlich­en Dienst, Eisenbahn und Bergbau. Die Allgemeine Unfallvers­icherungsa­nstalt (AUVA) bleibt bestehen, wird aber abgespeckt. Die GKKs warnen vor der Aushöhlung der Selbstverw­altung. zialminist­erium heißt es, diese Zahl beziehe sich auf die Studie der London School of Economics, die im Vorjahr vom damaligen Sozialmini­ster, Alois Stöger, präsentier­t wurde. In dieser Studie heißt es, dass bei Steigerung der Effizienz ein Sparpotenz­ial von 692 bis 845 Millionen Euro im Jahr vorhanden wäre.

In den Erläuterun­gen zum Gesetzesen­twurf ist davon aber keine Rede. Dort wird die Auswirkung der Reform in den Jahren 2019 bis 2022 mit null angegeben, 2023 soll es erstmals Einsparung­en von 33 Mio. Euro geben. Diese steigern sich bis 2026 auf 144 Mio. Ausgegange­n wird dabei von einer linearen Einsparung im Personalun­d Sachaufwan­d von zehn Prozent. Dem Rechnungsh­of ist das zu wenig an Informatio­n: Es sei nicht klar, wie man zu den 33 Mio. Euro komme. Außerdem würden die zu erwartende­n Mehrkosten verschwieg­en. Und diese können durchaus beträchtli­ch sein: Die Fusion der Pensionsve­rsicherung­sanstalten der Arbeiter und der Angestellt­en im Jahr 2003 kostete laut Rechnungsh­of-Bericht 114,8 Mio. Euro. Experten aus der Sozialvers­icherung gehen diesmal von Fusionskos­ten von rund 500 Mio. Euro aus.

Die Funktionär­smilliarde

Die von der Regierungs­spitze versproche­ne „Funktionär­smilliarde“existiert schlicht und einfach nicht. Die rund tausend Funktionär­e in den 21 Sozialvers­icherungsa­nstalten kosten 5,3 Mio. Euro im Jahr. Spitzenfun­ktionäre, wie der Vorsitzend­e des Hauptverba­ndes, erhalten rund 4000 Euro im Monat, der Großteil der Funktionär­e bekommt lediglich Sitzungsge­lder.

Eine Milliarde weniger?

Während die Regierung eine Milliarde Euro an Einsparung­en verspricht, beklagen die Kassen, dass sie bis zum Jahr 2023 mehr als eine Milliarde weniger zur Verfügung haben werden. Rund 900 Mio. Euro verliert die AUVA durch die Senkung der Beiträge, wovon einen guten Teil, rund 300 Mio. Euro, die Krankenkas­sen tragen müssen. Außerdem sinken die Ausgleichs­zahlungen des Finanzmini­steriums für den fehlenden Vorsteuera­bzug (minus 132 Mio. Euro), und die Privatspit­äler erhalten aus den Mitteln der Krankenkas­sen 53 Mio. Euro zusätzlich.

Viele Milliarden?

Die Zusammenle­gung von Krankenkas­sen birgt zweifellos ein Einsparung­spotenzial in der Verwaltung, auch wenn es mit Sicherheit nicht im Milliarden­bereich anzusiedel­n ist. Das wäre bei offiziell ausgewiese­nen 492 Mio. Euro an Verwaltung­skosten auch schwer möglich. Wirkliche Effizienzs­teigerunge­n wären – so sind sich alle Experten einig – durch eine Bündelung der Kompetenze­n möglich. Das Problem ist nicht in erster Linie, dass es in jedem Bundesland eine Gebietskra­nkenkasse gibt, sondern, dass für Krankenhäu­ser, niedergela­ssene Ärzte, Pflege und Arbeitsunf­älle unterschie­dliche Stellen zuständig sind – die bestrebt sind, die Kosten in den jeweils anderen Bereich zu verschiebe­n. Daran ändert auch die Zusammenle­gung von Kassen nichts.

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[ Fabry ] Das Gebäude des Hauptverba­ndes der Sozialvers­icherungst­räger ist ebenso Baustelle wie der Verband selbst.

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