Am Balkon ist noch immer Krieg
Im Kino. Im libanesischen Film „Der Affront“steigert sich ein Streit zwischen einem Christen und einem Palästinenser zu einem nationalen Politikum. Ein brisantes Drama.
Das Wort „Nahostkonflikt“weckt heute vornehmlich Assoziationen mit dem verwurzelten Zerwürfnis zwischen Israel und Palästina. Im Grunde bezeichnet er aber einen viel größeren Spannungskomplex, der auch in umliegenden Ländern wiederholt zu Eskalationen führt. Diese sind bei Weitem nicht immer kriegerischer Natur – manchmal geht es einfach nur um banale Alltagswickel.
Einen ebensolchen macht der libanesische Regisseur Ziad Doueiri zum Ausgangspunkt seines Gerichtssaaldramas „The Insult“, das bereits 2017 bei der Viennale Österreich-Premiere feierte und nun als „Der Affront“regulär in den heimischen Kinos startet. Alles beginnt mit einem Nachbarschaftsstreit: Tony (Adel Karam), ein Beiruter Christ, besprengt beim Reinigen seines Balkons versehentlich ein paar Bauarbeiter mit Wasser. Als der Polier Yasser (Kamel El Basha), ein Palästinenser, die Entfernung des unsachgemäß installierten Abflusses fordert, weigert sich dessen Besitzer – vielleicht auch, weil er Yassers Herkunft am Akzent erkennt. Eine Sachbeschädigung, zwei Beschimpfungen und ein paar gebrochene Rippen später stehen die beiden vor dem Richter und schieben sich gegenseitig die Schuld zu.
Dass die Wurzeln ihres Zwists tiefer liegen, wird schnell klar. Bald geht es nicht nur um das Kräftemessen zweier Sturschädel, sondern um Konfliktlinien, die von jahrelanger Bürgerkriegsgewalt mit Nachdruck ins Gesellschaftsgebäude des Libanons eingraviert wurden – und um einen symbolischen Disput zwischen zwei traumatisierten Bevölkerungsgruppen, die sich beide als Opfer der Geschichte sehen.
Im Gespräch mit der „Presse“erinnert sich Doueiri an seine jungen Jahre im Ausnahmezustand: „Einen Krieg nimmt man nicht wahr, man lebt ihn. Hat er mich geprägt? Natürlich. Alles, was ich tue, dreht sich auf die eine oder andere Art um meine Erfahrungen aus dieser Zeit. Ich kenne die Bomben, die Checkpoints, die Nahrungsmittelknappheit. Aber der Krieg hat mich auch positiv beeinflusst, mich stärker gemacht. Das habe ich in erster Linie meinen Eltern zu verdanken. Sie haben mich und meine Geschwister beschützt, uns emotional abgeschirmt.“
Geprägt von Tarantino
Mit Zwanzig Jahren verließ Doueiri seine Heimat, um in den USA Regie zu studieren. Dort arbeitete er unter anderem als Kameraassistent an frühen Arbeiten von Quentin Tarantino mit. Heute glaubt man, in seinem energischen, schimpfwortgespickten Englisch dessen Einfluss zu spüren. Seit dem Coming-of-Age-Debüt „West Beirut“gilt der mittlerweile 54-Jährige als Kinogalionsfigur des Libanons – und als erklärter Anhänger von Hollywood-Pragmatismus. „Ich hatte nie den Plan, einen politischen Film zu drehen“, meint er in Bezug auf sein jüngstes Werk. „Mich interessieren Handlung und Figurenentwicklung: Was brauchen meine Helden, was wollen sie, wie kann ich sie he- rausfordern? Es geht um die Story, nicht um Sozialanalysen.“
Freilich ist „Der Affront“auch das, bei allem Unterhaltungswert. Als Vorbild dienten berühmte Gerichtsdramen: „Das Schöne an diesem Genre ist, dass man Helden und Widersacher direkt gegeneinander ausspielen kann. Es geht immer um die Wahrheit und die Suche nach Gerechtigkeit. Außerdem schreibe ich gerne Dialoge – und vor Gericht wird meist sehr viel geredet.“Das Wort ergreifen nicht nur Kläger und Angeklagte, sondern auch die Anwälte. Hinter Yasser steht eine engagierte junge Frau, hinter Tony ein älterer, eloquenter Staradvokat. „Meine Inspiration war James Masons Figur aus Sidney Lumets ,The Verdict‘“, erklärt Doueiri, „ein mächtiger, erfahrener Mann mit einer Armada an Assistenten. Gegen ihn wirkt Paul Newmans Protagonist wie ein kleiner Fisch. In meinem Film wollte ich ein ähnliches Ungleichgewicht schaffen.“
Wer im Recht ist und wer nicht, bleibt dennoch lange in der Schwebe. „Der Affront“zeigt keinen Gut-gegen-Böse-Kampf, sondern stellt unterschiedliche Perspektiven gegenüber und sucht nach gemeinsamen Nennern – auch zwischen den Generationen, die die beiden Anwälte repräsentieren: „Die Älteren haben den Krieg selbst erlebt. Der Zugang der Jüngeren ist distanzierter, weniger emotional. Das führt zu Missverständnissen.“Dementsprechend spaltete der Film im Libanon die Meinungen, was Doueiri nicht stört: „Ich zeige Verfehlungen auf beiden Seiten auf. Es war klar, dass die Reaktionen heftig ausfallen würden.“