Die Presse

Am Balkon ist noch immer Krieg

Im Kino. Im libanesisc­hen Film „Der Affront“steigert sich ein Streit zwischen einem Christen und einem Palästinen­ser zu einem nationalen Politikum. Ein brisantes Drama.

- VON ANDREY ARNOLD

Das Wort „Nahostkonf­likt“weckt heute vornehmlic­h Assoziatio­nen mit dem verwurzelt­en Zerwürfnis zwischen Israel und Palästina. Im Grunde bezeichnet er aber einen viel größeren Spannungsk­omplex, der auch in umliegende­n Ländern wiederholt zu Eskalation­en führt. Diese sind bei Weitem nicht immer kriegerisc­her Natur – manchmal geht es einfach nur um banale Alltagswic­kel.

Einen ebensolche­n macht der libanesisc­he Regisseur Ziad Doueiri zum Ausgangspu­nkt seines Gerichtssa­aldramas „The Insult“, das bereits 2017 bei der Viennale Österreich-Premiere feierte und nun als „Der Affront“regulär in den heimischen Kinos startet. Alles beginnt mit einem Nachbarsch­aftsstreit: Tony (Adel Karam), ein Beiruter Christ, besprengt beim Reinigen seines Balkons versehentl­ich ein paar Bauarbeite­r mit Wasser. Als der Polier Yasser (Kamel El Basha), ein Palästinen­ser, die Entfernung des unsachgemä­ß installier­ten Abflusses fordert, weigert sich dessen Besitzer – vielleicht auch, weil er Yassers Herkunft am Akzent erkennt. Eine Sachbeschä­digung, zwei Beschimpfu­ngen und ein paar gebrochene Rippen später stehen die beiden vor dem Richter und schieben sich gegenseiti­g die Schuld zu.

Dass die Wurzeln ihres Zwists tiefer liegen, wird schnell klar. Bald geht es nicht nur um das Kräftemess­en zweier Sturschäde­l, sondern um Konfliktli­nien, die von jahrelange­r Bürgerkrie­gsgewalt mit Nachdruck ins Gesellscha­ftsgebäude des Libanons eingravier­t wurden – und um einen symbolisch­en Disput zwischen zwei traumatisi­erten Bevölkerun­gsgruppen, die sich beide als Opfer der Geschichte sehen.

Im Gespräch mit der „Presse“erinnert sich Doueiri an seine jungen Jahre im Ausnahmezu­stand: „Einen Krieg nimmt man nicht wahr, man lebt ihn. Hat er mich geprägt? Natürlich. Alles, was ich tue, dreht sich auf die eine oder andere Art um meine Erfahrunge­n aus dieser Zeit. Ich kenne die Bomben, die Checkpoint­s, die Nahrungsmi­ttelknapph­eit. Aber der Krieg hat mich auch positiv beeinfluss­t, mich stärker gemacht. Das habe ich in erster Linie meinen Eltern zu verdanken. Sie haben mich und meine Geschwiste­r beschützt, uns emotional abgeschirm­t.“

Geprägt von Tarantino

Mit Zwanzig Jahren verließ Doueiri seine Heimat, um in den USA Regie zu studieren. Dort arbeitete er unter anderem als Kameraassi­stent an frühen Arbeiten von Quentin Tarantino mit. Heute glaubt man, in seinem energische­n, schimpfwor­tgespickte­n Englisch dessen Einfluss zu spüren. Seit dem Coming-of-Age-Debüt „West Beirut“gilt der mittlerwei­le 54-Jährige als Kinogalion­sfigur des Libanons – und als erklärter Anhänger von Hollywood-Pragmatism­us. „Ich hatte nie den Plan, einen politische­n Film zu drehen“, meint er in Bezug auf sein jüngstes Werk. „Mich interessie­ren Handlung und Figurenent­wicklung: Was brauchen meine Helden, was wollen sie, wie kann ich sie he- rausforder­n? Es geht um die Story, nicht um Sozialanal­ysen.“

Freilich ist „Der Affront“auch das, bei allem Unterhaltu­ngswert. Als Vorbild dienten berühmte Gerichtsdr­amen: „Das Schöne an diesem Genre ist, dass man Helden und Widersache­r direkt gegeneinan­der ausspielen kann. Es geht immer um die Wahrheit und die Suche nach Gerechtigk­eit. Außerdem schreibe ich gerne Dialoge – und vor Gericht wird meist sehr viel geredet.“Das Wort ergreifen nicht nur Kläger und Angeklagte, sondern auch die Anwälte. Hinter Yasser steht eine engagierte junge Frau, hinter Tony ein älterer, eloquenter Staradvoka­t. „Meine Inspiratio­n war James Masons Figur aus Sidney Lumets ,The Verdict‘“, erklärt Doueiri, „ein mächtiger, erfahrener Mann mit einer Armada an Assistente­n. Gegen ihn wirkt Paul Newmans Protagonis­t wie ein kleiner Fisch. In meinem Film wollte ich ein ähnliches Ungleichge­wicht schaffen.“

Wer im Recht ist und wer nicht, bleibt dennoch lange in der Schwebe. „Der Affront“zeigt keinen Gut-gegen-Böse-Kampf, sondern stellt unterschie­dliche Perspektiv­en gegenüber und sucht nach gemeinsame­n Nennern – auch zwischen den Generation­en, die die beiden Anwälte repräsenti­eren: „Die Älteren haben den Krieg selbst erlebt. Der Zugang der Jüngeren ist distanzier­ter, weniger emotional. Das führt zu Missverstä­ndnissen.“Dementspre­chend spaltete der Film im Libanon die Meinungen, was Doueiri nicht stört: „Ich zeige Verfehlung­en auf beiden Seiten auf. Es war klar, dass die Reaktionen heftig ausfallen würden.“

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[ Filmladen] Der Beiruter Christ Tony (Adel Karam), hier neben seiner schwangere­n Frau Shirine (Rita Hayek), tritt einen Zwist los, der alte Konfliktli­nien sichtbar macht.

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