Baby Adolf, das geht zu weit!
Im Kino. Die gar nicht so blöde deutsche Satire „Der Vorname“führt vor, wie der „Mythos Hitler“eine linksliberale Tischgesellschaft sprengt. Nur die Pointen liegen zu oft daneben.
Deutschland im Jahre null“hieß der neorealistische Filmklassiker von Roberto Rossellini, den dieser 1947 im zerbombten Berlin gedreht hatte. Ein schwermütiger Bub irrt darin auf der Suche nach Geld und Nahrung durch postfaschistische Trümmerlandschaften, die ihn am Ende verschlucken. Keine Frage, die Ensemblekomödie „Der Vorname“in einem Atemzug mit einem der größten Meisterwerke des europäischen Nachkriegskinos zu nennen, ist bereits ein Frevel. Dennoch hätte man die in den deutschen Kulturraum übertragene Adaption des gleichnamigen französischen Theaterstücks und Kinohits von Alexandre de La Patelliere´ und Matthieu Delaporte auch mühelos „Deutschland im Jahre 2018“betiteln können.
Das überwiegend in Echtzeit erzählte Kammerspiel versteht sich als ironisches Sittengemälde des wohlsituiert-linksliberalen Teils der deutschen Gegenwartsgesellschaft. Die Trümmer sind hier schon lang weggeschafft. Die Protagonisten wohnen in einer schmucken Gegend in Bonn. Sie haben keinen Anlass, ziellos umherzustreifen. Und was die Vergangenheit betrifft, wähnen sie sich im Glauben, die düsteren Nazi-Jahre nicht nur nicht zu verdrängen, sondern auch deren Verdrängung überwunden zu haben. Die kritische Edition von „Mein Kampf“, die vor zwei Jahren zum Bestseller avanciert ist, sieht man in diesem bildungsbürgerlichen Bücherregal gut sichtbar neben Goethe und Grass stehen.
Der schnöselige Thomas (adrett: Florian David Fitz) treibt es dann aber doch zu weit. Bei einem Abendessen im Kreis der Familie gibt er bekannt, seinen bald zur Welt kommenden Sohn Adolf nennen zu wollen. Sein Schwager (großartig: Christoph Maria Herbst), ein knickriger Germanistikprofessor, der Thomas wegen seiner mangelnden Bildung regelmäßig aufzieht, ist fuchsteufelswild. Seine Schwester (Caroline Peters), eine Volksschullehrerin im ständigen Handlungswahn, zeigt sich ebenfalls entsetzt, aber trotzdem darum bemüht, den versauten Abend noch zwanghaft zu retten.
Nur der konfliktscheue Adoptivbruder (Justus von Dohnany),´ ein zartmütiger Klarinettist, wirkt vergleichsweise ruhig. Thomas verteidigt seinen schockierenden Entschluss: „Ein erster Schritt, um den Mythos Hitler zu besiegen“, bestehe darin, den befleckten Vornamen des schlimmsten Diktators der Menschheitsgeschichte wieder reinzuwaschen – weswegen Thomas seinen Sohn zu einem positiven Gegenmodell er- ziehen wolle. Woraufhin zwischen den Gästen allmählich unterdrückte Aggressionen und Ressentiments hervorbrechen.
Regisseur Sönke Wortmann ist mit „Der Vorname“eine gar nicht so blöde Satire gelungen. Leider opfert er den Anspruch auf entlarvende Gesellschaftskritik zu oft billigen Pointen, die aus einer mittelmäßigen Sitcom stammen könnten. Die absurd-abgründige Ausgangsidee, das ewige Phantom der Deutschen über eine Rotwein süffelnde Tischgemeinschaft hereinbrechen zu lassen, verliert er immer wieder aus den Augen. Bedauerlich: Denn in manchen Momenten, wenn die Reaktionen der Figuren das Gefälle zwischen großkoalitionärer Schönrederei und zunehmender Polarisierung widerspiegeln, von dem in Deutschland gerade Alltag, Diskurs und Politik bestimmt werden, trifft der Film durchaus einen Nerv.