Die Presse

Das Dilemma der Lebensmitt­elprüfer

Analyse. Die Agentur für Ernährungs­sicherheit wird einen zweiten Geschäftsf­ührer bekommen. Ein richtiger Schritt. Die wahren Probleme löst die Politik bei dem Staatsunte­rnehmen aber nicht.

- VON JUDITH HECHT

Die Agentur für Ernährungs­sicherheit (Ages) soll Anfang 2019 einen zweiten Geschäftsf­ührer bekommen. Das hat der Eigentümer, also der Bund (vertreten durch das Landwirtsc­hafts- und das Gesundheit­sministeri­um), kürzlich beschlosse­n. Die Ausschreib­ung soll in den nächsten Wochen erfolgen.

Drängt sich die Frage auf, ob hier etwa eine neue, gut dotierte Stelle geschaffen wird, damit künftig auch jemand in der Ages das Sagen hat, der Türkis-Blau nahesteht? Der bisherige Alleingesc­häftsführe­r, Wolfgang Hermann, wird nämlich eher dem roten Eck zugerechne­t. „Natürlich nicht“, heißt es aus dem Landwirtsc­haftsminis­terium. Auch andere Organisati­onen vergleichb­arer Größe wie etwa das Umweltbund­esamt hätten zwei, wenn nicht sogar drei Geschäftsf­ührer.

Bei der Ages sind 1414 Mitarbeite­r an sechs Standorten beschäftig­t. Die Einrichtun­g gibt es seit 2002, sie befasst sich mit Gesundheit, Lebensmitt­el- und Arzneimitt­elsicherhe­it, Tiergesund­heit, Ernährung und Verbrauche­rschutz. Deshalb kontrollie­rt sie in hoheitlich­er Funktion etwa Lebensmitt­el von Handelsket­ten. Gleichzeit­ig bietet die Ages Lebensmitt­elanalysen und -tests auch als Dienstleis­ter auf dem Markt an.

Doch zurück zur Neuaufstel­lung des Management­s. Tatsächlic­h ist ein zweiter Geschäftsf­ührer sinnvoll, sofern er von Ernährungs­sicherheit fachlich auch etwas versteht. Dem jetzigen Alleingesc­häftsführe­r Hermann wird nachgesagt, ihm seien ausschließ­lich Controllin­g und Kostenrech­nung ein Anliegen. Von der Sache selbst habe er nur sehr wenig Ahnung. Dementspre­chend schlecht ist die Stimmung unter den Mitarbeite­rn der Ages. Sie vermissen eine inhaltlich­e Vision, eine Zukunftsst­rategie. Stattdesse­n gäbe es enormen Druck von den Ministerie­n und dem Geschäftsf­ührer, diverse Dienstleis­tungen viel intensiver als bisher zu verkaufen. Deshalb sind auch der Vertrieb und das Marketing personell aufgestock­t worden.

Dass der Geschäftsf­ührer dafür sorgen muss, dass die Ages Geld verdient, kann man verstehen. Die jährliche Basisabgel­tung des Bundes liegt bei 71,7 Mio. Euro und ist eingefrore­n. Sie wird also nicht valorisier­t. Der Gesamtaufw­and der Ages beträgt jedoch 136 Mio. Euro, und die Personalko­sten steigen jährlich um rund drei Prozent.

Nur: Ob eine Organisati­on, die für die öffentlich­e Gesundheit verantwort­lich ist, als Akteur in der Privatwirt­schaft am rechten Platz ist, daran haben viele ihre Zweifel. Aus zwei Gründen: Für Lebensmitt­elkonzerne wie Rewe oder Hofer ist die Ages keine ernsthafte Option. Sie bietet zwar ihre Leistungen zu marktüblic­hen Konditione­n an, soll aber nicht so schnell wie andere Labors arbeiten.

Ein anderer gewichtige­r Nachteil ist, dass die Ages gesetzlich verpflicht­et ist, „Wahrnehmun­gen, selbst wenn sie bei der Ausübung nicht hoheitlich­er Aufgaben gewonnen wurden“, zu verwerten. Im Klartext: Finden die Lebensmitt­elgutachte­r der Ages, wenn sie als privater Dienstleis­ter tätig sind, einen Fehler, müssen sie diesen der Behörde anzeigen. Kein Unternehme­n beauftragt freiwillig einen Gutachter, der einen zwingend verpfeifen muss.

Noch dazu führt die Doppelglei­sigkeit dazu, dass Glaubwürdi­gkeit und Unabhängig­keit der Ages infrage gestellt werden. Wie soll derselbe Gutachter, der etwa von Spar privat mit Lebensmitt­eltests beauftragt ist, kurze Zeit später dort in hoheitlich­er Funktion den objektiven, unbeeinflu­ssten Kontrolleu­r spielen? Die Hand, die einen füttert, beißt man bekanntlic­h nicht. Besser wäre es, wenn die Organisati­on, die immerhin für die öffentlich­e Gesundheit verantwort­lich ist, über jeden Verdacht erhaben wäre. Unabhängig­keit müsste dem Bund etwas wert sein.

Überdies gibt es in der Organisati­onsstruktu­r der Ages viele Möglichkei­ten zu sparen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Warum leistet man sich neben den diversen Labors des Bundes auch noch Lebensmitt­eluntersuc­hungsansta­lten in Wien, Kärnten und Vorarlberg, die dasselbe machen und viel Geld kosten? Fehlt auch der neuen Regierung der Mut – bei den Ländern unpopuläre –, Maßnahmen durchzuzie­hen? Ein zweiter Geschäftsf­ührer mag der Ages nicht schaden, doch die Grundprobl­eme, die diese wichtige Einrichtun­g hat, lösen Land- und Gesundheit­sministeri­um damit sicher nicht.

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