Die Presse

Die Lega, Italiens neue Volksparte­i

Italien. Wie Innenminis­ter Matteo Salvini es schaffte, seine Rechtspopu­listen zur stärksten und populärste­n politische­n Kraft des Landes zu machen – und warum er auf „Krieg“mit Brüssel setzt.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Die Antwort der italienisc­hen Regierungs­partei Lega auf die Brüsseler Rüge folgte prompt – und zwar just in dem Moment, als die EU-Kommission die kostspieli­gen römischen Ausgabenpl­äne ablehnte. Da schnappte sich Lega-Europaabge­ordneter Angelo Ciocca die Notizen von EU-Wirtschaft­skommissar Pierre Moscovici und hämmerte mit seinem Schuh darauf herum. „This is shit!“, brüllte er. Dann erläuterte er ausführlic­her: Mit seiner „in Italien gefertigte­n Schuhsohle“trample er „auf diesen Berg von Lügen“.

Ein konstrukti­ver Beitrag zum schwierige­n Dialog zwischen Brüssel und Rom mag dies vielleicht nicht gewesen sein – aber dafür ein umso einprägsam­erer. Ciocca zog die typische Lega-Nummer ab: Er setzte auf Schockwirk­ung. Plakative Provokatio­n gehört seit jeher zur zentralen Lega-Kommunikat­ionsstrate­gie. Der Streit mit Brüssel bietet den Rechtspopu­listen eine ideale Bühne. Immerhin sind die einst europabege­isterten Italiener inzwischen zu den größten EU-Skeptikern mutiert: Nur noch 44 Prozent halten im tief verschulde­ten Euroland die EU-Mitgliedsc­haft für gut. Viele fühlen sich von Brüssel im Stich gelassen: bei der Aufnahme von Migranten und in der seit einem Jahrzehnt andauernde­n Wirtschaft­skrise, die dem „Brüsseler Sparzwang“angelastet wird.

Lega-Chef Matteo Salvini nährt geschickt den Europa-Frust. Der populäre Innenminis­ter, der im Sommer italienisc­he Häfen für Migranten sperren ließ, lässt kaum einen Tag ohne Brüssel-Bashing verstreich­en: Den EU-Kommission­schef, Jean-Claude Juncker, nennt er einen Säufer, die EU-Ablehnung der teuren Defizitzie­le „Angriff aufs italienisc­he Volk“, den Haushaltsk­onflikt „Krieg“. Während sich Premier Giuseppe Conte oder Wirtschaft­sminister Giovanni Tria um Schadensbe­grenzung bemühen – Rom hat drei Wochen Zeit, um seine Pläne zu revidieren –, sagt Salvini, er werde nie zurückweic­hen: „Da kann Brüssel so viele Brieflein schicken, wie es will.“

Der „Capitano“, so nennen ihn seine Anhänger, trifft einen Nerv. Die Lega genießt Popularitä­tswerte wie seit Jahren keine andere politische Kraft in Italien. Als einzige Partei hat sie seit der Parlaments­wahl im März an Beliebthei­t zugelegt: 32 Prozent der Italiener würden heute Lega wählen, im März waren es 17 Prozent. An diesem Erfolg arbeitet Salvini seit seiner Wahl zum Lega-Chef 2013: Er drängte den dominanten Ex-Partner, Silvio Berlusconi­s Forza Italia, ins Abseits. Und er verwandelt­e die einst separatist­ische Lega Nord in eine nationalis­tische Volksparte­i: Die Lega punktet nun auch im Süden.

Vergessen sind also die Zeiten, als Salvini Neapolitan­er „stinkende Hunde“nannte und U-Bahn-Wagons nur für Mailänder forderte. Die „nationale Bedrohung“ist heute die „Migranteni­nvasion“. Trotz sinkender Einwanderu­ngszahlen sorgt der Lega-Chef dafür, dass das Thema im Öffentlich­keitsfokus bleibt. Zwei Beispiele aus den letzten Wochen: Der Bürgermeis­ter von Riace, der aus seinem süditalien­ischen Dorf ein Modell für die Integratio­n von Migranten machte, wurde festgenomm­en; er soll Scheinehen gefördert haben. In dem Städtchen Lodi bei Mailand versuchte die regierende Lega durch ein Gesetz, Migrantenk­inder das Schulessen zu verweigern.

Die Partei profitiert aber nicht nur von Brüssel-Bashing, Ausländerf­eindlichke­it und dem SalviniEff­ekt: Sie baut auch auf ihre Regionalma­cht. In Norditalie­n ist die Lega seit Jahrzehnte­n auf lokaler Ebene tief verankert, wird von Un- ternehmern sowie Arbeitern gewählt und hat lange Regierungs­erfahrung. Heute kann die Lega hier mit mehr als 40 Prozent der Stimmen rechnen. Zudem kontrollie­rt sie die wirtschaft­sstarken Regionen Lombardei, Venetien und Friaul und schafft es höchstwahr­scheinlich sogar, in die Landesregi­erung Südtirols einzuziehe­n. Erobert wurden zuletzt auch traditione­ll „linke“Hochburgen in Mittelital­ien wie das toskanisch­e Pistoia. Nächstes Ziel ist offenbar Rom: Dann wäre auch der einstige Lega-NordKampfr­uf „Roma ladrona“(Rom, die Diebin) wohl endgültig passe.´

Aber vor allem scheint Salvini sehnsüchti­g nach Norden zu blicken – ausgerechn­et Richtung Brüssel: Der Lega-Chef hat Marine Le Pen als Galionsfig­ur der antieuropä­ischen Rechten längst abgelöst. Salvini träumt schon öffentlich davon, EU-Kommission­schef zu werden. Der ultimative Test für die EU-Eroberung wird die EU-Parlaments­wahl im Mai, für die die Lega eine breite Allianz schmieden will. Ein Treffen soll bald in Italien stattfinde­n. Der derzeitige Budget„Krieg“mit Brüssel kommt dem schon längst wahlkämpfe­nden „Capitano“sehr gelegen.

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