Die Lega, Italiens neue Volkspartei
Italien. Wie Innenminister Matteo Salvini es schaffte, seine Rechtspopulisten zur stärksten und populärsten politischen Kraft des Landes zu machen – und warum er auf „Krieg“mit Brüssel setzt.
Die Antwort der italienischen Regierungspartei Lega auf die Brüsseler Rüge folgte prompt – und zwar just in dem Moment, als die EU-Kommission die kostspieligen römischen Ausgabenpläne ablehnte. Da schnappte sich Lega-Europaabgeordneter Angelo Ciocca die Notizen von EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici und hämmerte mit seinem Schuh darauf herum. „This is shit!“, brüllte er. Dann erläuterte er ausführlicher: Mit seiner „in Italien gefertigten Schuhsohle“trample er „auf diesen Berg von Lügen“.
Ein konstruktiver Beitrag zum schwierigen Dialog zwischen Brüssel und Rom mag dies vielleicht nicht gewesen sein – aber dafür ein umso einprägsamerer. Ciocca zog die typische Lega-Nummer ab: Er setzte auf Schockwirkung. Plakative Provokation gehört seit jeher zur zentralen Lega-Kommunikationsstrategie. Der Streit mit Brüssel bietet den Rechtspopulisten eine ideale Bühne. Immerhin sind die einst europabegeisterten Italiener inzwischen zu den größten EU-Skeptikern mutiert: Nur noch 44 Prozent halten im tief verschuldeten Euroland die EU-Mitgliedschaft für gut. Viele fühlen sich von Brüssel im Stich gelassen: bei der Aufnahme von Migranten und in der seit einem Jahrzehnt andauernden Wirtschaftskrise, die dem „Brüsseler Sparzwang“angelastet wird.
Lega-Chef Matteo Salvini nährt geschickt den Europa-Frust. Der populäre Innenminister, der im Sommer italienische Häfen für Migranten sperren ließ, lässt kaum einen Tag ohne Brüssel-Bashing verstreichen: Den EU-Kommissionschef, Jean-Claude Juncker, nennt er einen Säufer, die EU-Ablehnung der teuren Defizitziele „Angriff aufs italienische Volk“, den Haushaltskonflikt „Krieg“. Während sich Premier Giuseppe Conte oder Wirtschaftsminister Giovanni Tria um Schadensbegrenzung bemühen – Rom hat drei Wochen Zeit, um seine Pläne zu revidieren –, sagt Salvini, er werde nie zurückweichen: „Da kann Brüssel so viele Brieflein schicken, wie es will.“
Der „Capitano“, so nennen ihn seine Anhänger, trifft einen Nerv. Die Lega genießt Popularitätswerte wie seit Jahren keine andere politische Kraft in Italien. Als einzige Partei hat sie seit der Parlamentswahl im März an Beliebtheit zugelegt: 32 Prozent der Italiener würden heute Lega wählen, im März waren es 17 Prozent. An diesem Erfolg arbeitet Salvini seit seiner Wahl zum Lega-Chef 2013: Er drängte den dominanten Ex-Partner, Silvio Berlusconis Forza Italia, ins Abseits. Und er verwandelte die einst separatistische Lega Nord in eine nationalistische Volkspartei: Die Lega punktet nun auch im Süden.
Vergessen sind also die Zeiten, als Salvini Neapolitaner „stinkende Hunde“nannte und U-Bahn-Wagons nur für Mailänder forderte. Die „nationale Bedrohung“ist heute die „Migranteninvasion“. Trotz sinkender Einwanderungszahlen sorgt der Lega-Chef dafür, dass das Thema im Öffentlichkeitsfokus bleibt. Zwei Beispiele aus den letzten Wochen: Der Bürgermeister von Riace, der aus seinem süditalienischen Dorf ein Modell für die Integration von Migranten machte, wurde festgenommen; er soll Scheinehen gefördert haben. In dem Städtchen Lodi bei Mailand versuchte die regierende Lega durch ein Gesetz, Migrantenkinder das Schulessen zu verweigern.
Die Partei profitiert aber nicht nur von Brüssel-Bashing, Ausländerfeindlichkeit und dem SalviniEffekt: Sie baut auch auf ihre Regionalmacht. In Norditalien ist die Lega seit Jahrzehnten auf lokaler Ebene tief verankert, wird von Un- ternehmern sowie Arbeitern gewählt und hat lange Regierungserfahrung. Heute kann die Lega hier mit mehr als 40 Prozent der Stimmen rechnen. Zudem kontrolliert sie die wirtschaftsstarken Regionen Lombardei, Venetien und Friaul und schafft es höchstwahrscheinlich sogar, in die Landesregierung Südtirols einzuziehen. Erobert wurden zuletzt auch traditionell „linke“Hochburgen in Mittelitalien wie das toskanische Pistoia. Nächstes Ziel ist offenbar Rom: Dann wäre auch der einstige Lega-NordKampfruf „Roma ladrona“(Rom, die Diebin) wohl endgültig passe.´
Aber vor allem scheint Salvini sehnsüchtig nach Norden zu blicken – ausgerechnet Richtung Brüssel: Der Lega-Chef hat Marine Le Pen als Galionsfigur der antieuropäischen Rechten längst abgelöst. Salvini träumt schon öffentlich davon, EU-Kommissionschef zu werden. Der ultimative Test für die EU-Eroberung wird die EU-Parlamentswahl im Mai, für die die Lega eine breite Allianz schmieden will. Ein Treffen soll bald in Italien stattfinden. Der derzeitige Budget„Krieg“mit Brüssel kommt dem schon längst wahlkämpfenden „Capitano“sehr gelegen.