Die Presse

Ausgetrunk­en und weggeworfe­n

Abfall. Wie das Europaparl­ament dazu kommt, sich für das Verbot bestimmter Wegwerfpro­dukte auszusprec­hen. Die Geschichte einer gut gemeinten EU-Regel und ihrer Gegner.

- VON WOLFGANG BÖHM

Geht es nach dem Europaparl­ament, so sollen ab 2021 zehn Wegwerfpro­dukte aus Kunststoff aus dem Verkehr gezogen werden. Eine deutliche Mehrheit von 571 Europaabge­ordneten stimmte am Mittwoch für eine neue Richtlinie zur Müllvermei­dung, die jeden EU-Bürger, aber auch zahlreiche Unternehme­n betreffen wird. „Wenn wir nicht handeln, wird es bis 2050 mehr Kunststoff­e als Fische in den Meeren geben“, begründete die SPÖ-Europaabge­ordnete Karin Kadenbach diesen Schritt. Das Verbot betrifft Teller, Besteck, Trinkhalme, Rührstäbch­en, Wattestäbc­hen und Haltestäbc­hen für Luftballon­e aus Kunststoff. Betroffen sollen in Folge auch Zigaretten­filter, Fast-Food-Verpackung und Trinkbeche­r sein. Zudem wünschen sich die EU-Abgeordnet­en, dass auch sehr dünne Plastiksäc­ke sowie weitere Produkte, die sehr schnell fragmentie­ren und in die Nahrungske­tte gelangen, schrittwei­se vom Markt verschwind­en.

Die Entscheidu­ng des Europaparl­aments fiel nur zufällig wenige Tage, nachdem österreich­ische Forscher erstmals relevante Mengen von Mikroplast­ik in menschlich­en Körpern in sechs Ländern entdeckt hatten. In Wirklichke­it ging sie zum einen auf eine europaweit­e Bürgerinit­iative „Stoppt Plastik im Meer“und zum anderen auf Untersuchu­ngen im Auftrag der EU-Kommission zurück. Demnach ist die Plastikpro­duktion seit den 1960er-Jahren um das Zwanzigfac­he gestiegen. Der dadurch entstanden­e nicht mehr biologisch abbaubare Müll belastet vor allem die Meere. „Jährlich gelangen acht Millionen Tonnen Plastik ins Meer“, so der ÖVP-Europaabge­ordnete Lukas Mandl. Er sieht eine notwendige Vorreiterr­olle der EU. Das Plastik im Meer ist eine Gefahr für Fische, aber in letzter Konsequenz auch für Menschen. Denn es gelangt in mikroskopi­sch kleinen Partikeln über gefangene Fische und Meeresfrüc­hte letztlich ins Essen.

Die nun zum Verbot anstehende­n Plastik-Wegwerfpro­dukte wurden aus einer Liste jener Stoffe ausgewählt, die Forschungs­teams an 276 Stränden in 17 Mitgliedst­aaten am öftesten gefunden haben. Diese Produkte tragen nach dieser Auswertung zu etwa 70 Prozent des gesamten Plastikabf­alls im Meer bei.

Die Regelung sieht einerseits Verbote, anderersei­ts aber auch das bessere Recycling von Produkten wie Kunststoff­trinkflasc­hen vor. Sie sollen bis 2025 zu 90 Prozent wiederverw­ertet werden. Darüber hinaus werden Produzente­n und Konsumente­n in die Pflicht genommen, auf Alternativ­produkte umzusteige­n. Ob die Richtlinie in jener Schärfe bestehen bleibt, wie es das Europaparl­ament beschlosse­n hat, ist freilich noch offen. Denn die Regelung muss noch von den zuständige­n Umweltmini­stern im Rat der EU abgestimmt werden. Hier gibt es noch Vorbehalte gegen zu viele Verbote. Zudem geht es laut Österreich­s Umweltmini­sterin, Elisabeth Köstinger (ÖVP), auch noch um die Frage, in welchem Ausmaß die Hersteller für die Kosten der Vermüllung herangezog­en werden.

Widerstand kommt vor allem von der Chemieindu­strie. Sie sieht in der Richtlinie nicht das geeignete Instrument, um das Abfallprob­lem im Meer zu lösen, und pocht stattdesse­n auf ein effiziente­res Abfallmana­gement. Der Fachverban­d der chemischen Industrie Österreich­s gibt sogar zu bedenken, dass die Richtlinie das Recycling erschweren könnte, da auch Produkte aus Recyclingm­aterial von den Verboten betroffen sind.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria