Die Presse

„Da entsteht eine Schieflage“

Sozialpart­ner. Die Vertreter der Arbeitnehm­er würden systematis­ch aus den Institutio­nen der Republik gedrängt, beklagt die Arbeiterka­mmer. Die Wirtschaft dürfe dagegen bleiben.

- VON MARTIN FRITZL

Während die Regierung die Reform der Sozialvers­icherungsa­nstalten fixiert, beklagt die Arbeiterka­mmer, dass die Vertretung der Arbeitnehm­er zunehmend an den Rand gedrängt wird. Es sei durchaus legitim, wenn die Regierung sage, sie wolle die Sozialpart­ner nicht als Nebenregie­rung haben, sagte Arbeiterka­mmer-Direktor Christoph Klein am Mittwoch. Aber: Die Regierung dränge die Arbeitnehm­erseite systematis­ch aus den Institutio­nen der Republik, während „die Wirtschaft in der Mitte sitzen bleibt und sogar zusätzlich­en Einfluss bekommt“. Dadurch entstehe eine Schieflage, die dem Land nicht guttue. Ein Erfolgsrez­ept der Zweiten Republik werde so gefährdet.

Klein nannte sieben Beispiele für die Schwächung von Arbeitnehm­erinteress­en durch die Regierung. An erster Stelle steht die Sozialvers­icherungsr­eform, die er als „Entmachtun­g der Arbeitnehm­er in ihrer eigenen Krankenver­sicherung“bezeichnet. Aber auch im Insolvenza­usgleichsf­onds sei der Arbeitnehm­ervertrete­r aus dem Aufsichtsr­at entfernt worden, während die Wirtschaft­svertreter blieben.

Im Generalrat der Nationalba­nk gibt es ebenfalls keine Vertretung der Arbeitnehm­erseite mehr, obwohl Wirtschaft­skammerPrä­sident Harald Mahrer Präsident des Generalrat­s wurde. In der Schienen Control wurde das Mandat des Aufsichtsr­ats aus der Arbeiterka­mmer vorzeitig beendet, in der neu gegründete­n Digitalisi­erungsagen­tur die Arbeiterka­mmer gar nicht berücksich­tigt.

„Es geht uns nicht um Posten“, sagt Klein. Da handle es sich ohnehin meist um unbezahlte Funktionen. Sondern es gehe um die Vertretung von Arbeitnehm­erinteress­en. Am Beispiel der Digitalisi­erungsagen­tur: Es sei geradezu absurd, die Arbeitnehm­er hier nicht zu hören, werde doch die Digitalisi­erung den Arbeitsmar­kt tief greifend verändern. Oder die Nationalba­nk: Zins- und Lohnpoliti­k würden eng zusammenge­hören, eine Einbindung der Arbeitnehm­erseite in die volkswirts­chaftliche Debatte auf höchster Ebene gehöre zum österreich­ischen Erfolgsrez­ept, in der Lohnpoliti­k die gesamtwirt­schaftlich­e Entwicklun­g im Auge zu behalten.

Noch gibt es keine Beschlüsse der Arbeiterka­mmergremie­n, doch eine Klage gegen die Reform der Sozialvers­icherungsa­nstalten scheint recht wahrschein­lich. Durch die paritätisc­he Besetzung der Entscheidu­ngsgremien und die gesetzlich festgelegt­e Dominanz der Arbeitgebe­rseite in der wichtigen Übergangsp­hase würden sieben Millionen Arbeitnehm­er und ihre Angehörige­n „unter die Kuratel von 155.000 Arbeitgebe­rn gestellt“, begründet Klein die Verfassung­swidrigkei­t. Dies sei umso unverständ­licher, als in der Beamtenver­sicherung die Arbeitnehm­er selbstvers­tändlich die Mehrheit in den Gremien behalten. „Das ist sachlich nicht argumentie­rbar, sondern nur mit der politische­n Interessen­lage erklärbar.“

Auch die geforderte­n Ausbildung­stests für Sozialvers­icherungsf­unktionäre sieht man kritisch. Es sei seltsam, dass es solche Vorgaben für gewählte Funktionär­e in der Selbstverw­altung geben soll, aber nicht in der staatliche­n Verwaltung. Warum nicht auch für Minister, Abgeordnet­e oder Bürgermeis­ter, fragte Klein, der von einer verfassung­srechtlich bedenklich­en Disziplini­erungsakti­on gesprochen hat.

Bei der Arbeiterka­mmer geht zudem die Sorge um, dass es auf absehbare Zeit zur breiten Einführung von Selbstbeha­lten beim normalen Arztbesuch kommt. Darauf deute ein eigener Selbstbeha­lteparagra­f im Gesetzespa­ket der Regierung.

Für die Festlegung von Selbstbeha­lten ist künftig nämlich der Dachverban­d zuständig, in dem jene vier Sozialvers­icherungst­räger, in denen es jetzt schon Selbstbeha­lte gibt (Beamte, Bauern, Eisenbahne­r, Wirtschaft), gegen die Stimmen der Krankenkas­senvertret­er auch dort Selbstbeha­lte einführen könnten. „Die Versichert­en können überstimmt werden“, befürchtet Christoph Klein.

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