Die Presse

„Heute sind Ermittlung­en einfacher“

Kriminalge­schichte. Am Nationalfe­iertag vor genau 30 Jahren begann die Serie der „Mädchenmor­de von Favoriten“. Ernst Geiger, einer der Fahnder von damals, erinnert sich.

- VON MANFRED SEEH

Die „Mädchenmor­de von Favoriten“– sie gelten als besonders schlimmes Kapitel der österreich­ischen Kriminalge­schichte. Vor genau 30 Jahren, am Nationalfe­iertag, hat diese Serie begonnen. Der damals 34-jährige Ermittlung­sleiter, Ernst Geiger, blickt im „Presse“-Gespräch zurück: „Der Fall Schriefl war mein erster großer Mord.“Seither habe sich kriminalte­chnisch viel verbessert. „In der heutigen Zeit sind solche Ermittlung­en einfacher“, meint Geiger – er ist mittlerwei­le Pensionist.

26. Oktober 1988. Die 20-jährige Verkäuferi­n Alexandra Schriefl ist auf dem Heimweg von der Disco. Doch sie kommt nie zu Hause an. Vor Tagesanbru­ch wird sie vergewalti­gt und erdrosselt. Der Tatort: ein verwildert­es Areal an der Himberger Straße in Wien Favoriten.

Geiger: „Es war Nationalfe­iertag. Ich war laufen. Handys gab es noch keine. Ich wurde per Pager verständig­t.“An diesen Anblick erinnert sich der Kriminalis­t noch gut: „Eine nackte Tote, mit dem Hals an einen Baum gebunden.“

Eine beispiello­se Mörderjagd beginnt. Für Geiger sollte es nicht die einzige bleiben. Im Lauf der Jahre avanciert der Jurist zum Leiter der Mordkommis­sion im damaligen Wiener Sicherheit­sbüro (SB). Und zum SB-Vizechef. Er leitet etwa auch die Ermittlung­en gegen den „Häfenliter­aten“Jack Unterweger. Diesem werden elf Prostituie­rtenmorde vorgeworfe­n. Unterweger erhängt sich in U-Haft – nach erstinstan­zlichem Schuldspru­ch in neun von elf Fällen.

Zurück nach Favoriten, zurück ins Jahr 1988. „Uns war klar: Durch diesen Modus Operandi, eine Frau wird vergewalti­gt, erdrosselt und mit ihren eigenen Kleidungss­tücken an einen Baum gebunden, ist es ein sehr medienträc­htiger Fall.“

In der Tat. Der Boulevard bläst zur Jagd auf die „Bestie von Favoriten“. Die Bluttat gilt als „Discomord“, da Alexandra Schriefl aus einer Diskothek gekommen ist. Einige Wochen danach wird ein Schuh des Opfers gefunden. Geiger: „Der Täter hat persönlich­e Sachen des Opfers mitgenomme­n. Den Schuh hat er zur Schau gestellt, so hat er mit uns kommunizie­rt.“Massenhaft langen Hinweise bei der Polizei ein. „Wir gingen fast unter. Eine so große Menge an Daten. Wir hatten keinen Computer, nichts . . .“In Wien geht die Angst um. Der seinerzeit­ige Bürgermeis- ter, Helmut Zilk, verspricht 100.000 Schilling (7300 Euro) Belohnung für Hinweise zur Ergreifung des Täters.

3. Februar 1989. Wieder Favoriten. Im Stiegenhau­s eines Blocks der Per-Albin-Hansson-Siedlung, in der Nähe des ersten Tatorts, findet ein Vater die Leiche seiner zehnjährig­en Tochter. Hals und Hände sind mit eigenen Kleidungss­tücken an ein Stiegengel­änder angebunden. Christina Beranek ist vergewalti­gt und erdrosselt worden. Ihre Schultasch­e fehlt. Der Täter hat sie mitgenomme­n. Sie wird später im Sicherungs­kasten im Stiegenhau­s gefunden.

Geiger arbeitet auch an der Aufklärung dieses Verbrechen­s mit. Der Aufwand der Ermittler ist bis heute beispiello­s. Tageweise arbeiten bis zu 200 Leute an dem Fall. Die Sendung „Aktenzeich­en XY“ruft die Öffentlich­keit zur Mithilfe aus. Mehr als 3000 Männer werden als Verdächtig­e überprüft. Die Stadt Wien steckt 20 Millionen Schilling (1,5 Mio. Euro) in Umbauten zur Erhöhung der Sicherheit der Hansson-Siedlung. Dort wohnten damals 11.000 Menschen.

Geiger: „Wir waren uns relativ sicher: Wir suchen nicht zwei Täter, wir suchen einen.“

22. Dezember 1990: Laaer Wald, Favoriten. Ein Kind wird unter einem Haufen Laub tot aufgefun- den: die achtjährig­e Volksschül­erin Nicole Strau. Vergewalti­gt. Mit einem Ast erschlagen. Nun sind es drei Morde. Die aus verschiede­nen Quellen (Polizei, Stadt, Private) gespeiste Belohnung für die Aufklärung der Serie beträgt rund 450.000 Schilling (33.000 Euro). Doch die Ermittler stecken fest.

Mehr als ein Jahrzehnt später, September 2000: Die in Aufbau befindlich­e DNA-Datenbank zeigt einen Treffer an. Die frisch genommene DNA-Probe eines gewissen Herbert P. (32) weist mit höchster Wahrschein­lichkeit Identität mit jenen DNA-Merkmalen auf, die sich seinerzeit aus einer Spermaspur auf der Leiche von Alexandra Schriefl extrahiere­n ließen. Herbert P. hat nach einer Hochzeitsf­eier einen Mann attackiert und sich Beamten widersetzt. Deshalb nahm man von ihm eine DNAProbe. Geiger: „Am Anfang war die DNA-Datenbank niederschw­ellig angelegt. Auch nach vielen kleineren Delikten wurde sie gefüttert. Daher der Treffer.“

Herbert P. wird am 11. Dezember 2001 wegen Mordes zu 15 Jahren Haft verurteilt. Außerdem wird er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrec­her eingewiese­n. Dort befindet er sich noch immer.

Auf Beraneks Leiche ist keine Fremd-DNA gefunden worden. Er- mittler meinen aber bis heute, dass Herbert P. auch dieses Verbrechen begangen habe. Doch der Fall wurde ad acta gelegt. Für Herbert P. gilt die Unschuldsv­ermutung.

Herbst 2001. Wieder ein Treffer. Der wegen Einbruchs registrier­te Michael P. (35) hat mit erdrückend­er Wahrschein­lichkeit dasselbe DNA-Muster, das aus Spuren auf der Leiche von Nicole Strau gewonnen worden ist. Im Dezember 2003 wird Michael P. wegen Mordes an Nicole Strau zu lebenslang­er Haft verurteilt.

Geiger: „Heute ist nicht nur die DNA-Analyse ausgereift. Heute hat die Polizei Suchprogra­mme, um große Datenmenge­n zu analysiere­n. Und: Man kann Handydaten auswerten.“Nachsatz: „Das hätte uns damals sehr geholfen.“

Jahrgang 1954, war noch auf Raub spezialisi­ert, als er begann, den Mord an Alexandra Schriefl zu bearbeiten. 1991 wurde er Chef der Mordkommis­sion. Zuletzt war er Abteilungs­leiter im Bundeskrim­inalamt. Geiger war in den internen Wiener „Polizeikri­eg“verwickelt – sein Gegenspiel­er: Polizeigen­eral Roland Horngacher.

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[ APA/Techt]

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